Da zu Beginn dieses Jahres die Corona-Lage immer noch unsicher schien, hatten wir uns gedacht, den großen Urlaub mal wieder innerhalb Deutschlands zu verbringen. Da muss man dann auch nicht zwangsläufig mit den Motorrädern losziehen, sondern kann ja auch mal wieder auf die Kajaks zurückgreifen. So sah der Plan vor, mit dem Auto die Boote nach Berlin zu bringen und dann damit auf dem Wasser gemütlich nach Hause zu fahren, zuerst die Havel und dann die Elbe hinunter.
Dafür hatten wir drei Wochen Zeit, die sollten dafür bequem reichen. Für die Übernachtungen unterwegs kamen sowohl Bootshäuser anderer Vereine wie auch Campingplätze in Frage. Es gibt allerdings einen Abschnitt der Elbe, wo auch solche Stellen rar sind. Deswegen hatten wir auch einen leeren Wassersack dabei, den wir dann ggf. füllen wollten, um notfalls auch wild zelten zu können.
Im Laufe der Jahre bin ich dazu übergegangen, Reiseberichte wie diesen (bzw. eine Vorabfassung davon) schon von unterwegs jeden Abend in eine Blogsoftware hochzuladen, damit mein Freundeskreis das Geschehen auch schon während der Fahrt verfolgen kann. Das funktioniert gut bei Übernachtungen in Hotels etc., wo man inzwischen eigentlich immer auch WLAN bekommt (mein Tablet kann nämlich kein Mobilfunk und mein Mobiltelefon kann keine Apps). Auf dieser Fahrt jedoch hatten wir nur ein einziges Mal Gelegenheit, von der Unterkunft aus WLAN benutzen zu können, für diese Art Reise hat sich dieses Konzept somit als nicht tragfähig erwiesen.
Wecker auf 8 Uhr, in aller Ruhe frühstücken, um 10 Uhr fingen wir an, das Auto zu beladen. Ein Faltboot und das ganze Campinggeraffel war dann auch nicht in 2 Minuten eingeladen. Dann noch zum Bootshaus nach Eppendorf, um Ulrikes GFK-Boot auf den Dachträger zu schnallen, und es konnte losgehen, da war es etwa 20 nach 11 Uhr. Aber wir kamen ohne irgendwelche Probleme durch, so dass wir um 1420 Uhr beim Kajak Club Albatros in Spandau ankamen.
Hier wurden wir sehr freundlich empfangen, man hatte extra für uns einen Kühlschrank bereitgestellt, und wir mussten auch gar kein Zelt aufbauen, sondern bekamen einen kleinen Teil vom Aufenthaltsraum mit einer verschiebbaren Trennwand abgeteilt, wo wir uns ausbreiten konnten. Überhaupt schienen hier nur nette Leute zu sein, wer auch immer von den Mitgliedern uns begegnete, wechselte ein paar freundliche Worte mit uns und wünschte uns schöne Ferien.
Die Frage allerdings, ob es hier vielleicht Internet gab, haben wir schon von dem Moment an nicht weiterverfolgt, wo wir neben dem Eingang das uralte Münztelefon mit Wählscheibe gesehen hatten. Das war offenbar auch in Betrieb, denn wir hörten es mit unverkennbarem Sound klingeln, als wir nach dem Ausladen für eine Weile draußen auf einer Bank gesessen haben.
Als nächstes wurde dann das Faltboot aufgebaut. Dabei musste ich leider feststellen, dass ich wohl vergessen habe, die Rückenlehne einzupacken. Da werde ich wohl mein aufblasbares Kopfkissen mit einem Verzurrgurt hinter mir an den Spant binden müssen, aber das sollte machbar sein. Aber sonst war alles da, das Boot wird wie die letzten 34 Jahre schon auch diesmal seinen Dienst tun.
Nun war noch viel Zeit, die nähere Umgebung zu erkunden. Den alten Ortskern von Wilhelmstadt fanden wir nur mäßig schön, was aber mit Sicherheit auch daran lag, dass die Hauptstraße gerade neu asphaltiert wurde. Aber am Ende davon wandten wir uns nach rechts und kamen durch einen schönen kleinen Park an die Havel. Hier konnten wir prima im Schatten auf einer Bank sitzen (Ulrike war mit ihrem neuen künstlichen Hüftgelenk ja noch nicht wieder langstreckentauglich) und auf den Fluss gucken. Neben einem Hotelschiff ("Flusskreuzfahrt - das machen wir, wenn wir zu alt für Motorrad und Kajak sind") sahen wir auch zwei kleine Hausboote, von denen eines fast aussah wie ein schwimmender Wohnwagen. Da hatte ich spontan auch Lust, so etwas mal zu mieten und damit in der Gegend herumzuschippern.
Für das Abendessen fanden wir einen Italiener, bei dem man draußen sitzen konnten (Restaurant "Ramazzotti", offenbar ohne Internetseite), und beim Bootshaus wurde der Abend dann mit je einer von Zuhause mitgebrachten Flaschen Maibock aus dem oben erwähnten Kühlschrank, der inzwischen brav die ihm gestellte Aufgabe erfüllt hatte, abgeschlossen.
Ohne Wecker standen wir heute erst um 830 Uhr auf. Von der nahegelegenen Tankstelle wurden Brötchen geholt, die draußen im Schatten verspeist wurden. Das ganze Gelände hatte schließlich fast überall schönen alten Baumbestand, lediglich die zum Zelten vorgesehene Wiese hätte in der Sonne gelegen. Viele der Mitglieder hatten hier auch einen Wohnwagen stehen, und jetzt am Wochenende waren die meisten der Wohnwagenbesitzer offenbar auch hier, aber dank der vielen Pflanzen dazwischen verlief sich das ziemlich gut.
Nach dem obligatorischen Abwasch brachen wir auf zur heutigen Tagestour. Noch in Sichtweite des Anlegers führte uns ein Abzweig nach links in eine Gegend, die uns sehr empfohlen wurde und die hier "Klein Venedig" genannt wurde. Natürlich hatte dies hier wie auch die gleichnamige Ecke in Bamberg, die wir vor ein paar Jahren gesehen hatten, nicht allzu viel mit Venedig zu tun, möglicherweise sind die Namensgeber hier wie da nie selbst einmal dort gewesen. Die Gemeinsamkeit beschränkt sich im Prinzip auf "Kanal führt durch Stadt" und "ist schön da". Hier führte das Gewässer nämlich durch die Gärten von Einfamilienhäusern oder Kleingärten, entsprechend grün war es überall. Allerdings war der Wasserweg oft auch nicht mehr als drei Bootslängen breit, und weil an vielen Stellen zu beiden Ufern Bootsliegeplätze waren, blieb davon manchmal nur knapp eine Bootslänge übrig. Und es waren dann heute auch einige Motorboote unterwegs, so dass ich oft nicht mal für ein Foto anhalten konnte, zum Beispiel bei der Ente mit Küken, die es sich auf einem SUP-Board bequem gemacht hatten.
Auf dem Stößensee war dann natürlich mehr Platz. Es wirkte sehr ähnlich der Alster in Hamburg mit massenweise Segelbooten und Paddlern, die hiesigen Motorboote ersetzten unsere Alsterdampfer. Unter der Brücke der B5 stieg dann allerdings Ulrike aus ihrem Boot und eröffnete mir, sie habe ein Problem, ihre Fußstütze hätte sich gelöst. Die Schiene dazu hatten wir erst vor zwei Monaten frisch eingeklebt, und jetzt war sie wieder ab. Das gleiche Manöver hatten wir vor etlichen Jahren schon bei einem anderen Boot durchexerziert, und mit diesem jetzigen Boot ist Ulrike auch mit der Verklebung schon ein halbes Dutzend Feierabendtouren gefahren, aber jetzt hat das eben nicht mehr gehalten. Immerhin waren wir aber ja noch nicht "richtig" unterwegs. So verkürzten wir die heutige Runde stark und dachten während der Rückfahrt über mögliche Alternativen nach: Das Boot so zu packen, dass sich die Füße vorne an der Ladung abstützen können, oder schnell nach Hamburg fahren und das Boot tauschen.
Aber zurück am Bootshaus fand sich unter den Mitgliedern vor Ort jemand namens Roy, der 1) sich mit der Materie auskannte, 2) entsprechend ausgerüstet war, weil er wegen Bereitschaftsdienst den Werkstattwagen dahatte und schließlich 3) bereit war, die Schiene gegen eine Spende in die Jugendkasse noch einmal zu kleben. Ich kann es gar nicht oft genug betonen: Ein sehr gastfreundlicher und hilfsbereiter Haufen Leute hier!
Roys Reaktion auf alle unsere Angebote zur Unterstützung ließ sich am ehesten interpretieren mit "wenn ich ungestört diesen Job tun kann, würde das am meisten helfen", also verbrachten wir den Nachmittag auf der Bank sitzend und mit anderen Mitgliedern klönend, allein ich drehte noch einmal eine kleine Runde durch "Venedig". Zum Abendessen gingen wir dann wieder zum Italiener, und der hatte nicht nur etwas gegen unseren Hunger, sondern auch Internet.
Tagesstrecke 7 + 2 km
Für den heutigen Tag war erst einmal ein ziemlich Mainstream-mäßiger, nämlich touristischer, Stadtbesuch vorgesehen. Dank zweier Exemplare des berühmten 9€-Tickets in unseren Taschen ließ sich das auch prima bewerkstelligen: Mit dem Bus wenige Stationen zum Spandauer Bahnhof und dann mit der S-Bahn zum Hauptbahnhof. Dort musste man eigentlich nur den anderen Menschenmassen hinterherlaufen, um automatisch zum Reichstag zu kommen. Da hatten wir zwar eigentlich im Vorwege eine Kuppelbesichtigung gebucht (sollte sogar umsonst sein), die wurde aber schon am Freitag wieder per Mail abgesagt (für den Fernsehturm hatten wir übrigens eine ähnliche Buchung ob des Preises von ca. 25 € pro Nase gar nicht erst versucht). Vor dem Reichstag auf der Wiese saßen anscheinend etliche Schulklassen, die auf Projektwoche hier waren, und einige davon hatten offenbar von ihren Lehrern auf Klemmbrettern Aufgabenzettel zu lösen bekommen. Ulrike war vor vielen Jahren auch auf einer solchen Reise hier gewesen, aber damals gab es noch die DDR, und der Reichstag hatte nicht die Bedeutung wie heute.
Von hier aus war es gar nicht weit zum Brandenburger Tor, der Platz davor war voller Leute. Auf der anderen Seite gingen wir ein kurzes Stück in den Tiergarten, und schon begegnete man kaum noch einem Menschen. Das änderte sich wieder etwas am Mahnmal für die ermordeten Juden, aber zwischen den Blöcken verschwanden die Menschen dann wieder. Zuvor waren wir auch noch bei einem Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma, welches nicht ganz so sehr bevölkert war.
Schließlich folgte ein paar Häuserblöcke weiter der Potsdamer Platz, den Ulrike gerne wiedersehen wollte. Seinerzeit war das eine große leere Fläche, und sie sagte schon lange, dass man das ihrer Meinung nach so hätte belassen sollen. Aber weit gefehlt, alles war neu bebaut, wir fanden mit dem Haus Huth ein einziges altes Gebäude dort noch vor.
Als nächstes wollte ich mir einmal Kreuzberg angucken. So fuhren wir zur Station Kottbusser Tor und suchten alle die Stellen auf, die in dem Lied "Berlin" der Gruppe Ideal besungen wurden. Aber ich fand das alles nicht sehr wert, in solch einem Musikstück besungen zu werden. Ok, das Stück ist über vierzig Jahre alt, sicher hat sich in der Zeit allerhand verändert, und ich hätte wohl vor vierzig Jahren hierherkommen sollen, aber damals hat sich das nie ergeben. Aber am Landwehrkanal konnte man schön spazieren gehen.
Zurück am Bootshaus in Spandau fuhr Ulrike noch eine kleine Probetour mit ihrer frisch geklebten Fußstützenleiste und fand alles in Ordnung. Weil unser Italiener am Montag Ruhetag machte, wurde erstmals aus eigenen Vorräten gekocht und anschließend noch das letzte mitgebrachte Maibock alle gemacht.
Gestern hatten wir uns für heute sogar einen Wecker gestellt, denn wir hatten für den Vormittag eine "Historische Schiffsrundfahrt" gebucht. Auf dem Regierungsbogen der Spree darf man ja gar nicht paddeln, und alleine wegen des Touristenschiffsverkehrs war das auch gar nicht ratsam, wie wir heute erleben konnten. Aber wir bekamen die ganzen neuen Regierungsgebäude gezeigt und auch erklärt, und am Ende galt dies auch noch für etliche historischere Bauten auf der anderen Seite der Friedrichstraße. Vor dem Boll-Museum warteten übrigens schon wieder mehrere Schulklassen auf Einlass.
Nun hatte Ulrike sich geopfert, das Auto wieder nach Hause zu bringen (Rückfahrt per Bahn, aber mit extra Ticket, per Regionalbahnen hätte das unzumutbar lange gedauert). Ich durfte während dessen weiter Touristenprogramm machen von der Sorte, für die sich Ulrike nicht ganz so sehr interessierte. Aber zuallererst traf ich auf eine Straßenbahn, und da ich Straßenbahnen sehr gerne mag, stieg ich spontan ein. Aber die Freude währte nicht lange, schon an der nächsten Station war Schluss aufgrund einer Baustelle. Bei uns in Hamburg wollen ja einige Kreise auch gerne wieder eine Straßenbahn einführen, hier bekam ich ganz eindrucksvoll einen der Gründe demonstriert, die dagegensprechen, denn es ging nun nur noch zu Fuß weiter. Also kehrte ich reumütig wieder um, nahm den ursprünglichen Plan wieder auf und stieg in die S-Bahn nach Potsdam.
In Potsdam würden wir zwar auf dem Wasserwege hoffentlich morgen auch noch vorbeikommen, aber die von Ulrike angepeilte Übernachtungsstelle lag ziemlich weit draußen, und ich kann mir gut vorstellen, dass wir nach dem ersten Paddeltag mit vollem Gepäck nicht auch noch Lust haben würden, weite Wege zu latschen. Und ich wollte mir die russische Kolonie Alexandrowka angucken, und Ulrike hatte aufgrund der aktuellen politischen Lage für russische Dinge im Moment nicht allzu viel übrig. Aber zuerst stellte ich mit Freude fest, dass es auch hier in Potsdam Straßenbahnen gab. Und da man mit Tram oder Bus auch gut sehen kann, durch welche Gegend man gerade fährt, stieg ich spontan am Holländischen Viertel schon wieder aus.
Dieses Viertel umfasste ein paar Straßenzeilen mit sehr ähnlich aussehenden Häusern in holländischem Stil aus roten Ziegeln und meist mit Giebel zur Straße. In vielen davon gab es kleine Läden, Restaurants und Cafés, auch ein Antiquariat habe ich gesehen. Und ich habe schwer an mich gehalten, da nicht hineinzugehen, aber ich konnte beim besten Willen nicht noch Bücher im Kajak nach Hamburg transportieren. Die Poffertjes aus dem Café um die Ecke hingegen gedachte ich noch am gleichen Tag wieder in Bewegungsenergie umzusetzen.
Die russische Kolonie besteht aus einigen alten Holzhäusern in russischem Stil und schien immer noch bewohnt zu sein, vor den meisten Häusern standen moderne Autos. Zu jedem solchen Haus schien unter anderem ein Stück Obsthof zu gehören, sicher war damals der Gedanke, dass die Familien dort vom Ertrag des Landes leben können sollten. Ein Stück weiter nördlich stand auf einem Hügel im Wald eine kleine russisch-orthodoxe Kirche, von außen wie innen schön anzusehen. ein orthodoxer Altar besteht ja aus einer Wand mit Heiligenbildern, hier war alles in Gold eingerahmt, aber man durfte es nicht fotografieren.
Das Schloss Sanssouci hatte ich mir größer vorgestellt, wahrscheinlich wirkte es sehr klein, weil es vergleichsweise flach und nur eingeschossig gebaut war. Gut gefallen hat mir hingegen das "Chinesische Teehaus", auch wenn ich als zugegebener Laie den Eindruck hatte, dass es nicht wirklich sehr chinesisch war. Überhaupt hat mir auch die Altstadt von Potsdam insgesamt gut gefallen, mir schien, hier ist im Krieg nicht allzu viel zerstört worden.
Ulrike kam pünktlich mit dem ICE um 2008 hier an und hatte sogar meine Rückenlehne noch mitgebracht. Weil sie danach keine Lust mehr hatte, noch zum Italiener zu gehen, habe ich noch etwas aus unseren Vorräten gekocht, danach haben wir noch bei einem Bier auf der Bank vor dem Haus gesessen. Dabei ertappten wir einen Waschbären, der offenbar die Mülltonnen nebenan durchsuchen wollte. Für den Moment hatten wir ihm das ausgeredet, aber wir hatten nicht vor, die ganze Nacht lang wache zu halten...
In der Nacht ging ein ordentlicher Schauer nieder, aber am Morgen schien wieder die Sonne. Und heute sollte es nun richtig los gehen. Alles Zeug wurde in die wasserdichten Säcke gepackt und erstmal vor dem Haus auf einer Bank gestapelt. Jemand von den Mitgliedern kam vorbei und meinte: "Es ist doch immer wieder erstaunlich, was so alles in die Boote passt." Ich antwortete: "Noch ist das alles nicht drin!" Aber nachdem wir zwei Schiebkarren voll zum Anleger gekarrt hatten, passte auch tatsächlich alles hinein, und ja, ich hätte gestern notfalls auch noch ein Buch kaufen können. Und das, obwohl Ulrike sage und schreibe vier Flaschen Rotwein ins Auto geladen und heute irgendwo zwischen die Paddelsäcke gesteckt hatte.
Zum Abschied haben wir noch eine Art Wimpel von unserem Gastgeberverein geschenkt bekommen. Leider konnten wir uns nicht revanchieren, ich glaube, unser eigener Verein hat gar keine solchen Wimpel. Das sollten wir wohl mal versuchen, zu ändern. Auf jeder Tour wie dieser entsteht fast zwangsläufig immer wieder eine ToDo-Liste, dies war also nun der erste Punkt derselben.
Den ersten Teil der Strecke kannten wir schon von unserer Runde am Sonntag, aber es bleib im Prinzip auch weiterhin schön. Man hatte gar nicht den Eindruck, sich auf einem Fluss zu befinden, sondern auf einer Kette von Seen. Links lag der Grunewald, aber die rechte Seite war genauso baumbestanden. Der Himmel war zwar inzwischen stark bewölkt, einen leichten Sonnenbrand habe ich trotzdem bekommen, und das Wetter machte einen stabil trockenen Eindruck, allenfalls der leichte Gegenwind störte manchmal etwas. Aber auch da hatten wir schon schlimmeres erlebt (uns ist allerdings auch schon schlimmeres prophezeit worden).
Bei Fluss-Kilometer 13 machten wir Kekspause an der Slipstelle eines Yachthafens und bekamen dabei eine Vorführung geboten, wie man ein großes Motorboot per Kran vom Trailer ins Wasser setzt. Auf der Folgestrecke gab es etliche Abzweigungen, öfter mal musste die Karte konsultiert werden, aber letztlich kamen wir doch ohne große Umwege zurecht.
Als Ziel für heute hatten wir uns am Ende von Potsdam einen Verein ausgeguckt, der auch im Flussführer als DKV-Kanustation ausgewiesen war (das sind Vereine, die besonders ausgestattet und bereit sind, durchreisende Paddler zu beherbergen). Allerdings schien die Telefonnummer, die im Flussführer wie auch auf deren Webseite aufgeführt war, nicht mehr zu existieren. Und an Ort und Stelle angekommen, fanden wir dort keinen Kanuverein, sondern ein nagelneu gebautes Eventunternehmen vor. Da wurde wohl mal wieder eine Mitteilung an die Redaktion des Flussführers fällig, wenn wir wieder zuhause waren.
Also mussten wir noch ein Stück weiterfahren. Hinter der nächsten Eisenbahnbrücke sollte es laut unseren Unterlagen noch einen Verein und drei Kilometer weiter einen Campingplatz geben. Aber schon bei dem erstgenannten Verein Wassersportfreunde Pirschheide wurden wir aufgenommen und durften für 10 € unser Zelt aufbauen. Hier waren schon eine Reihe andere Paddler, aber auch ein paar Fahrradfahrer. Zum Verbleib der ursprünglichen Kanustation wollte sich der Betreiber dieser Location übrigens nicht richtig äußern, wer weiß, was da vorgefallen sein mag.
Beim Ausladen musste ich feststellen, dass inzwischen doch mehr als nur ein Schluck Wasser in meinem Boot hin- und herschwappte. Somit würde ich wohl meine Aussage von eingangs, das Boot werde seinen Dienst tun, leicht revidieren müssen. Aber das Boot hatte kein richtiges Loch, sondern das Wasser drang offenbar "nur" durch den Oberdeckstoff ein, der auf der Oberseite nasse Zeltsack darunter deutete jedenfalls darauf hin. Somit stand nun ein weiteres Item auf der ToDo-Liste, bei genauerem Betrachten hatte die letzte Imprägnierung vor neun Jahren stattgefunden bei der Vorbereitung für die TID-Fahrt 2013. Skandal, dass man das quasi alle naselang wieder neu machen muss.
Tagesstrecke 24 km
In der Nacht fing es an zu regnen, und das hielt an bis in den Morgen. Aber wir konnten zum Frühstücken unsere Sachen halbwegs trocken in einen Pavillon bringen (sogar eine Steckdose gab es hier, wo gestern Abend alle Welt Handys aufgeladen hatte), und auch die Boote konnten wir trocken beladen. Der Betreiber meinte bei der Schlüsselabgabe: "Ihnen ist schon klar, dass es den ganzen Tag regnen wird?" Nütschanix, wir wollen ja irgendwann mal nach Hause. Und er sagte "wird", hätte aber sagen sollen "soll", und wir waren mit der Realität gar nicht so ganz unzufrieden. Natürlich hatte ich ob der Vorhersage gleich die Spritzdecke aufgezogen und die Regenjacke bereitgelegt, aber letztere brauchte ich nur drei oder vier Male, und dazwischen lugte sogar mal die Sonne kurz durch. Und so kam es, dass ich mir mangels Sonnenschutzes vor der Abfahrt an diesem "durchregneten" Tag einen typischen Sonnenbrand an den Beinen holte: Oben eine harte waagerechte Kante von den Shorts, außen eine harte senkrechte Kante vom Süllrand, somit nur die inneren Hälften der Oberschenkel braun - das haben nur Paddler so.
Inzwischen hatten wir den Speckgürtel von Berlin offenbar verlassen, es gab nur noch sehr wenige Anleger, wo vorher ein Yachthafen neben dem anderen lag, und auch die Orientierung wurde etwas leichter.
In Ketzin machten wir Halt beim Ferienhof Havelblick, einer Art Campingplatz mit nettem Betreiber in sehr ruhiger Lage. Als allererstes galt es, das quatschnasse Zelt wieder aufzubauen in der Hoffnung, es noch wieder etwas trockener zu bekommen. Aber kaum hatten wir das Außenzelt stehen, überfiel und der nächste (aber für heute auch letzte) Regenschauer. Und dabei konnten wir sehen, dass jetzt die Klebestreifen, die von innen auf die Nähte geklebt waren, sich massiv verabschiedeten. Unser Zelt würde also in Zukunft eigentlich nur noch als Schönwetterzelt taugen und die Ankunft in Hamburg nicht überleben. Genau genommen hatte ich schon vor dieser Tour angeregt, es zu ersetzen, aber Ulrike meinte, wir sollten erst einmal gucken, ob wir in Zukunft überhaupt noch solche Unternehmungen weiterhin machen wollen von wegen künstlicher Hüfte und Rücken auf unebenem Boden und harter Isomatte und so. Prinzipiell hätten wir hier sogar eine Hütte bekommen können, aber das erfuhren wir erst, nachdem wir schon alles aufgebaut hatten.
Hier um die Ecke gab es ein Restaurant, mal wieder ein Italiener, wo uns Bier vom Fass und leckere Pizza, aber kein Internet geboten wurde.
Tagesstrecke 24 km
730 Uhr: Ein Zaunkönig und ein Zilpzalp sangen ganz in der Nähe um die Wette, und ich stellte mir im Halbschlaf vor, was jeder der beiden über den jeweils anderen gerade dachte. Der Zilpzalp über den Zaunkönig: "Verrückter Kerl, ohne jegliche Struktur!" und der Zaunkönig über den Zilpzalp: "Sklave des Rhythmus, kann sich nicht anständig freuen!" Beide jedoch schienen uns zum Aufstehen ermuntern zu wollen. Der Regen hatte tatsächlich aufgehört, aber jetzt wehte ein deutlich spürbarer Wind.
Beim Frühstücken gab es ein lautes Krachen. Gleich um die Ecke war ein großer Baum umgestürzt. Ich hatte immer gedacht, so etwas passiere nur bei richtigem Sturm, davon war der Wind heute aber noch weit entfernt. Offenbar konnte das aber auch einfach so geschehen, möglicherweise war das Holz schon knapp am Rande seiner Tragfähigkeit angekommen, und ein winziges Zusatzgewicht, zum Beispiel der Zaunkönig, hatte dann den Ausschlag gegeben. Der Vogel jedenfalls war kurze Zeit schon wieder am Jubilieren: "Ich habe es überlebt, hurra! Und ich habe die große Weide ganz alleine zur Strecke gebracht!" Andere Töne schlugen ein paar Camper an, die heute mit ihrem Wohnwagen abreisen wollten und denen der Baum jetzt den Weg versperrte. Der Platzbesitzer erzählte uns später hinter vorgehaltener Hand, die hätten ursprünglich bis Sonntag gebucht gehabt und jetzt wohl wegen der nicht ganz so guten Wettervorhersage kalte Füße bekommen, das hätten sie nun davon. Aber noch während wir am Packen waren, arbeitete nebenan schon eine Kettensäge.
Wir jedenfalls fuhren bald ganz planmäßig weiter. Zunächst machte uns der Gegenwind auf dem Trebelsee etwas zu schaffen, dann wurden die Seen immer kleiner, bis wir auf einem richtigen Flussabschnitt unterwegs waren. Da, wo wir dann die erste Pause gemacht haben, direkt neben der Tafel von km 48, konnte man auch wild zelten, wenn man sich sein Wasser mitbringt. Ein paar Hundert Meter weiter kamen wir an einem überwucherten Schild vorbei, welches einen Biwakplatz kennzeichnen könnte. Dort zelteten auch Leute, wir haben allerdings keine Boote gesehen, sondern zwei Autos.
In der Stadt Brandenburg hätte es eine Abkürzung gegeben, aber da diese den Namen Silokanal trug und auf der Karte mit ihrem schnurgeraden Lauf auch so aussah, haben wir uns dagegen entschieden. Stattdessen fuhren wir auf der Südseite in den Stadtkanal und durch die Stadtschleuse (keine Selbstbedienung), was schneller ging, als uns zuvor von einem Angler vorhergesagt wurde.
Der dritte Fahrtentag soll bei solchen Touren immer der schlimmste sein, und für heute hatte uns Ulrike auch noch eine ziemlich lange Etappe geplant. Ihr macht das nämlich immer viel Spaß, das alles genau vorzubereiten, was allerdings nicht bedeuten soll, dass davon nicht noch abgewichen werden kann. Aber heute fuhren wir noch nach ihrem ursprünglichen Plan, und mir tat langsam der Hintern weh. Aber wir hatten es jetzt nicht mehr weit, am Ende der Brandenburger Stadthavel erreichten wir unser Planziel (und sie hatte Schwierigkeiten, aus dem Boot zu steigen und den Rücken geradezumachen). Beim Restaurant Buhnenhaus sollte auch ein Campingplatz sein, ich sah allerdings keinen. Also ging ich ins Restaurant hinein und fragte nach einer Zeltmöglichkeit. "Ja, bauen Sie einfach irgendwo auf dem Gelände auf." Da wir keine Lust hatten, in Sichtweite vom Restaurant zu hausen, blieben wir gleich unten am Wasser. Das Gras war hier allerdings sehr hoch, und als allererstes brauchten wir Mückenschutzmittel, aber wir lagen hier schön im Schatten.
Gerade als unser Zelt stand, kamen zwei weitere Paddler dazu, mit denen wir schon unterwegs kurz geschnackt hatten. Das waren Knut und Paul, Vater und Sohn aus Dresden. Nachdem die auch ihr Zelt aufgestellt hatten, sind wir zusammen ins Restaurant zum Essen gegangen. Da gab es natürlich einiges zu erzählen, zum Beispiel sind die beiden auch schon mal die Märkische Umfahrt (Rundfahrt vom Spreewald nach Berlin und zurück, der Bericht darüber muss wohl noch irgendwann einmal geschrieben werden) gefahren. In der Familie ist es Tradition, dass der Vater jedes Jahr eine Unternehmung mit seinen inzwischen erwachsenen Kindern macht unter der Voraussetzung, dass sie diese alleine planen.
Wir verließen das Restaurant nicht über die Terrasse auf unsere Zelte zu, sondern durch den Haupteingang, und erst von hier aus konnte ich sehen, dass es hinter dem Autoparkplatz tatsächlich auch einen richtigen Campingplatz gab. Das war sicherlich gemeint mit "auf dem Gelände", aber nun war es dafür zu spät. Aber unsere Zeltstelle lag relativ gut versteckt, und immerhin wussten wir jetzt, wo wir morgen duschen konnten.
Tagesstrecke 29 km
Heute Morgen erwähnte Ulrike am Rande, dass sie sich leicht erkältet fühlte, aber das sei kein Grund, nicht weiterzufahren. Etwas hinderlicher war der recht starke Gegenwind auf dem Breitlingsee, aber auch der konnte überwunden werden, und dank guten Kartenmaterials fanden wir auch die Ausfahrt aus dem See ohne allzu großes Suchen.
In Lutze machten wir Pause, hier hätte man auch zelten können. Wir fragten den Betreiber des Platzes nicht nur nach einer Toilette, sondern auch nach einer Einkaufsmöglichkeit in der Nähe, aber letztere gab es nicht. Bei der Fähre Pritzerbe-Kütkzow nach 10 km sollte ein Konsum sein, "der hat jetzt auch offen" (er guckte dabei auf die Uhr). Als wir dort ankamen, gab es außer der Rampe für die Fähre, die wir natürlich nicht benutzen konnten, keine vernünftige Anlandemöglichkeit. Ich entschied mich, an einem Anleger der Fahrgastschifffahrt, der offenbar lange schon nicht mehr in Betrieb war, hochklettern (sehr rostig), unterstützt von in solchen Situationen üblichen und sehr hilfreichen Ratschlägen der Art "Fall nicht ins Wasser!" Dann im Ort musste ich feststellen, dass der winzige Laden an Sonnabenden nur von 8 bis 11 Uhr geöffnet hatte, jedoch als wir in Lutze gefragt hatten, war es schon 1400 Uhr gewesen. Aber im Nachhinein ist mir auch gar nicht mehr klar, ob ich mit einem vollen Einkaufsbüdel überhaupt wieder ohne Schaden zurück in mein Boot gekommen wäre.
An der Schleuse Bahnitz gab es feste Schleusenzeiten, und wir mussten eine Weile warten. Ich spazierte zum Zeitvertreib am Zaun der Schleuse entlang, und auf dem Rückweg traf ich auf Leute (dem Anschein nach eine Familie), die mit allerlei Gepäck aus Richtung der Schleusenkammer kamen, damit über den recht hohen Zaun kletterten, das ganze Zeug in einen Van luden und davonfuhren. Eigentlich können sie auf dem Gelände nur gezeltet haben, denn ich habe weder einen Wohnwagen noch eine Yacht gesehen, aber einen Schlüssel hatten sie anscheinend auch nicht gehabt. Das kam mir jedenfalls sehr merkwürdig vor, wirkte aber andererseits auch nicht grob ungesetzlich, somit habe ich mich nicht berufen gesehen, etwas zu unternehmen.
Insgesamt drei kurze Regenschauer mussten wir heute über uns ergehen lassen. Kurz nach dem letzten kam uns ein Zweierkajak entgegen, bemannt offenbar von einem Vater und seinem jugendlichen Sohn, und sie schienen auch erst kurz unterwegs gewesen zu sein, denn sie waren noch trocken. Und wir glaubten auch nicht, dass sie weit fahren wollten, denn da, wo wir herkamen, gab es erst einmal viele Kilometer weit nur Natur. Und ziemlich spät war es inzwischen außerdem. Möglicherweise waren die beiden somit aufgebrochen zu einer Unternehmung, die man so schön "Microabenteuer" nennt: Ein kurzes Stück hinausfahren in die Natur, muss gar nicht weit weg sein, draußen übernachten, und am nächsten Morgen rechtzeitig zum Frühstück wieder zurück. Mögen sie ihre Freude daran gehabt haben.
Kurz bevor wir unser avisiertes Ziel erreichten, sahen wir am rechten Ufer ein Bootshaus, und weil es wie gesagt schon ganz schön spät war, stieg ich aus und fragte nach. Und ja, für 15 € durften wir hierbleiben. Es standen hier schon zwei Wohnmobile, obwohl der Verein, dessen Name hier am Haus stand (Kanusport Premnitz) den Platz offenbar nicht mehr nutzte. Aber das war uns herzlich egal, wir waren ziemlich kaputt, die Strecke war einfach zu viel heute. Zu der Frage, wie viele Kilometer man sich am Tag vornehmen soll/kann, hört man verschiedene Angaben, die sich meist zwischen 20 und 25 km bewegen, auf stromlosem Gewässer natürlich. Ich würde ja sogar sagen, als trainierte Paddler kann man die 25 wohl auch noch überschreiten, aber diesmal hatten wir es eindeutig übertrieben. Denn zur reinen Strecke kam ja auch noch der Wind am Anfang dazu, und die längeren Aufenthalte unterwegs brachten es mit sich, dass wir unser Abendessen erst gegen 2130 genießen konnten und uns danach sehr schnell in die Schlafsäcke rollten.
Tagesstrecke 33 km
In der Nacht kam ein ganz kurzer Moment Regen, und auch beim Frühstücken wurden wir von zwei kurzen Huschen zurück ins Zelt getrieben. Unsere Vorräte waren mittlerweile auch schon ziemlich dezimiert, der Käse wurde heute alle, die Wurst war es längst, nun gab es nur noch einen Rest Marmelade. Aber dafür konnten wir frische Brötchen essen (das Brot reichte auch nur noch für ein Mal), die Ulrike von einem Bäcker in der Nähe holte. Aber die Brötchentütennavigation funktionierte hier nicht, laut Aufdruck wären wir in Rathenow gewesen, das sollte nach Karte aber erst noch kommen.
Vor der Abfahrt klönschnackten wir noch ausgiebig mit der sehr netten Betreiberin. Sie hatte den Platz vor fünf Jahren übernommen, nachdem der Verein es mit dem Feiern übertrieben haben soll und die Kündigung "mit Anwalt" bekommen habe. Sie erzählte auch, bei der Jugendherberge um die Ecke, wo wir zuerst hinwollten, könne man zwar immer noch zelten, aber inzwischen nicht mehr die Einrichtungen (Dusche, Toilette etc.) der DJH mitbenutzen, da müssen es also offenbar einige ebenfalls übertrieben haben. Aber sie würde gerne durchreisende Paddler (und auch andere Camper) aufnehmen, jedoch keine großen Gruppen, denn es gab nur genau eine Dusche und eine Toilette.
So kamen wir heute erst gegen 1145 Uhr los. Es rauschte ein ziemlicher Wind, und kurz nach dem Ort kam uns an einer offenen Stelle ein Zweier entgegen, der versuchte, mit einem großen Schirm zu segeln. Der Schirm hielt dem aber nicht Stand und klappte um, der Steuermann des Zweiers seinerseits wünschte uns viel Spaß, was sich definitiv nach "na, euch beneide ich nicht" anhörte. Aber die meiste Zeit fuhren wir recht geschützt, um uns herum stand zwar kein richtiger Wald, aber doch sehr oft viele hohe Bäume. Nach einer Weile ging rechts die Mögeliner Havel ab, die sollte empfehlenswert sein, also bogen auch wir dort ab. Und es gab zwar keine andere Landschaft zu sehen als auf dem Hauptarm, aber es war sehr ruhig, uns begegnete kein einziges Motorboot hier.
In Rathenow ging ein Flussarm rechts ab, durch die Stadt an zwei Wehren vorbei zur Stadtschleuse, wo wir wieder durch Personal geschleust wurden. Hier auf der Kaimauer stand eine Skulptur von drei Männern, von denen einer in kurzen Abständen einen kleinen Schwall Wasser spuckte. Ein Schild daneben informierte darüber, dass die Arbeiter, die hier früher die Frachtschiffe entladen haben, sich die Wartezeit auf den nächsten Job gerne mit Spuckwettbewerben vertrieben haben sollen.
Ein Stück weiter hinter der Stadt fanden wir eine Pausenstelle, an der man auch wieder hätte biwakieren können, und verspeisten die mitgebrachten Nougat-Croissants, ebenfalls vom Bäcker heute früh, denn unsere Pausenkekse waren auch alle.
Am Ende des Tages bogen wir rechts ab auf die Hohennauer Wasserstraße, die nach etwas mehr als einem Kilometer auf den gleichnamigen See führt, an dessen Ufer der Campingplatz wiederum gleichen Namens lag, wo wir nicht nur unser Zelt aufbauen, sondern auch unsere Wäsche waschen konnten. In anderen Angelegenheiten sah es aber wieder nicht so gut aus. Es sollte nebenan ein Restaurant geben, wir gingen hin - Küche schloss um 2000. Im Ort sollte es noch einen Dorfkrug geben, wir gingen hin - sonntags 1100 bis 1400. Gegenüber sollte es einen Bäcker geben - daran stand nur das Wort "Mittagstisch", und das Haus sah nicht so aus, als ob es nächste Woche oder auch später wieder geöffnet würde. Auf der Karte gab es in 3 Kilometer Entfernung einen Ort namens "Wassersuppe"! Nein, eine Dose hatten wir noch, die köchelte dann auf dem Trangiakocher.
Tagesstrecke 24 km
In der Nacht ist es schweinekalt geworden, so dass ich aufgestanden bin, den Kentersack aus dem Boot gezogen und mir noch eine lange Hose und einen Pullover geholt habe. Wir hatten nämlich nur die leichten Fleece-Schlafsäcke dabei, weil wir ja mit Sommer gerechnet haben. Bei tieferen Temperaturen musste dann das Zwiebelprinzip zur Anwendung kommen, und jetzt war es eben soweit. Dafür war beim Aufstehen klarer blauer Himmel. Im Laufe des Tages kamen zwar noch ein paar Flockenwolken dazu, aber es blieb immer heiter und wurde natürlich auch wieder warm.
Und wir hatten den ganzen Tag lang Gelegenheit, uns an der Natur um uns herum zu erfreuen. Schilfrohrsänger sahen wir einige, und hören konnten wir noch mehr. Irgendwann kamen wir direkt an einem Kuckuck vorbei. Den konnten wir zwar nur hören, aber der Ruf kam mit Sicherheit aus dem einzelnen Baum, an dem wir gerade vorbeifuhren. Raubvögel pfiffen auch öfters hoch oben am Himmel. Gestern hatten wir sogar einen gesehen, der einen Fisch in den Fängen hatte, gefolgt von einem Graureiher, der ihm die Beute wohl irgendwie abjagen wollte.
Getrübt wurde der Genuss des Tages allerdings durch zwei große Schleusen, die wir passieren mussten, aber nicht selber bedienen konnten. Bei der ersten war das Tor bei unserer Ankunft offen, und die Ampel stand auf grün, aber ein Schild am Ufer sagte: "Einfahrt nur nach vorheriger Ankündigung unter Telefon xy, UKW 03 oder per Gegensprechanlage!"
Also stieg ich aus und ging hoch an besagte Gegensprechanlage.
"Wir sind zwei Paddler und möchten gerne geschleust werden."
"Und was hindert Sie daran?"
"Hier steht ein Schild mit der Anweisung, sich anzumelden."
"Ja, aber die Ampel steht doch auf grün, und Sie haben doch gesehen, dass vor Ihnen ein Boot hineingefahren ist."
Ich hatte zwar eine Bewegung wahrgenommen, das aber nicht zweifelsfrei identifizieren können, und jetzt war das Boot nicht mehr zu sehen.
"Dann hätten Sie besser die Augen aufmachen sollen!"
Wie man es macht, macht man es falsch. Ulrike meinte, Schleusenwärter sei ein sterbenslangweiliger Job und sie würde das auch nicht gerne machen wollen. Immerhin erfuhr ich noch, dass erst um 1300 Uhr geschleust würde, wir also noch mehr als eine halbe Stunde lang aussteigen und Pause machen könnten, und dass es vor Havelberg keine Einkaufsmöglichkeit geben solle.
Bei der zweiten Schleuse stieg Ulrike aus, um die Schleusenzeit in Erfahrung zu bringen - 1700 Uhr. Das war in knapp zwei Stunden. Auf der Jübermann-Karte war sowohl an der Schleuse wie auch am Wehr nebenan Umtragestrecken verzeichnet. aber wir konnten uns bei beiden überzeugen, dass diese nur bei hinreichend großer Verzweiflung (letzte Schleusung des Tages verpasst oder so) in Erwägung gezogen werden sollten. Am Wehr hätte man sich seinen Weg mit der Machete durch das Unterholz schlagen müssen, und an der Schleuse gab es zwar einen Schwimmponton zum bequemen Aussteigen, der war aber mit dem Land mit einer sehr schmalen Gangway mit hohem Geländer verbunden, da wären wir niemals mit einem Boot um die Ecke gekommen. So vertrieben wir uns einen guten Teil der Wartezeit mit einem Klönschnack mit Niederländern, die mit einem hölzernen Oldtimer-Motorboot aus Maasdam auf Tour waren.
Schließlich bogen wir knapp hinter der zweiten Schleuse links ab nach Garz, um dort nach einer Zeltmöglichkeit zu fragen. Nach erfolgreicher Verhandlung schalt Ulrike mich, ich hätte vorhin an der Schleuse zu lange Niederländisch geredet, weil ich "kampieren" gesagt habe. Jedenfalls durften wir unser Zelt aufstellen und mussten auch nicht kochen, denn direkt an dem winzigen Hafen (7 Liegeplätze) gab es das Restaurant "Zum Quappenwinkel", wo wir morgen sogar Frühstück bekommen sollten (unser Brot hatten wir heute früh ja auch restlos verputzt, aber morgen wollten wir Havelberg erreichen und dort alles wieder nachkaufen). Beim Zeltaufbau besuchte uns die Hafenkatze, eine kleine graugetigerte, und meinte, ihre Aufgabe sei es, dafür zu sorgen, dass keine Ratten die sinkenden Schiffe verlassen, sondern darauf blieben. Wir hatten aber keinerlei Nage- oder sonstiges Getier mitgebracht, so zog sie wieder ihrer Wege.
Ulrike hatte schon seit ein paar Tagen Maleschen mit einem Muskel, der nach der Hüft-OP öfters mal verrücktspielte. Ich habe versucht, die Stelle zu massieren, aber anscheinend ohne Erfolg, was mit Sicherheit an meiner gänzlich fehlenden Erfahrung lag. Ich hingegen habe mir heute einen üblen Sonnenbrand auf dem Spann meines rechten Fußes zugezogen. Mag sein, dass ich beim Einschmieren zu nachlässig war, vielleicht habe ich das Zeug auch beim Einsteigen im See heute früh wieder heruntergewaschen, oder beides. Dann haben mich da noch zwei Bremsen gestochen, die Stelle tat ziemlich weh.
Trotzdem machten wir nach dem Essen noch einen kleinen Gang durch den Ort. Und der war zwar nur klein, aber sehr hübsch, mit etlichen schönen alten Häusern, einer achteckigen Fachwerkkirche und einem historischen Vierseitenhof, der jetzt eine Radfahrerpension beherbergte. Entweder war der Ort von der DDR verschont geblieben oder nach der Wende gut renoviert worden, oder beides.
Tagesstrecke 21 km
Während wir das leckere und reichhaltige Frühstück mit frischen Brötchen vom Restaurant vertilgten, rezitierte Ulrike eine Stelle aus der Bibel:
"Sieh die Lilien auf dem Felde.
Sie nähen nicht und sie machen keine Kleider.
Und ich sage euch, nicht einmal Salomo in all seiner Pracht ist so schön gekleidet wie eine von ihnen."
Sie zitiert dies gerne mal und meint, das bedeute, dass Gott für die seinen sorge, sogar wenn sie vermeintlich zu nichts zu Nutze sind. Und ich hatte heute trotz Atheismus auch etwas davon abbekommen. Allerdings hätten wir noch nicht direkt hungern müssen, sondern hätten ein veritables Sportlerfrühstück essen können - Nudeln, in Butter geschwenkt! Ein Glas Bockwürstchen hatten wir auch noch, eine kleine Dose Erbsen, ein Glas Tomatenmark und einen kleinen Rest Marmelade.
Während wir am frühen Nachmittag Pause machten, kam von hinten ein junger Mensch mit einem aufblasbaren Kajak vorbei, in sehr gemächlichem Tempo. Als wir dann weiterfuhren, begegneten wir ihm wieder, und er hatte gerade eine Familie Nutrias erspäht. Ein Elterntier saß auf der Steinpackung und kratzte sich ausgiebig, währen mindestens drei Junge im Wasser schwammen. Aber als ich dicht genug heran war für ein Foto, wurde es ihnen zu viel, und sie verschwanden alle.
So langsam näherten wir uns dem Ende der Havel, und ich muss sagen, dass ich den Fluss durchaus genossen habe. Die Landschaft war zwar nicht abwechslungsreich, es gab auch keine Hügel oder gar Berge, ich habe den Fluss aber durchaus als schön empfunden. Im Dunstkreis von Berlin viel Wald an den Ufern, aber auch gespickt mit Yachthäfen. Später wechselten sich Weidendickichte mit Schilfzonen ab, die Landwirtschaft reichte eigentlich nie bis an die Ufer heran. Erst kurz vor Havelberg sahen wir eine Herde Rinder mit direktem Zugang zum Wasser.
In Havelberg legten wir an einem Ponton an der Campinginsel an. Hier lag bereits ein Faltbootzweier, der mit Auslegern und einer Sackkarre als Bootswagen ausgerüstet war. Der Besitzer kam heran und verwickelte uns, in der Hauptsache mich, in ein Gespräch, zuerst über Pouch-Faltboote, dann über seine Reisepläne (mehrere Monate lang). Auf die Frage, ob er damit zu zweit unterwegs sei, kam "um Gottes Willen, nein!", "will meine Ruhe haben" und "die richtige Frau gibt es nicht!" Das könnte meiner Meinung nach nicht nur an seiner Faltbootleidenschaft gelegen haben. Er war eine ziemlich wilde Erscheinung: Stark tätowiert, Militär-T-Shirt, wirre Haare, verlebtes Gesicht, schnippte seine Zigarette in das Hafenbecken, gab anscheinend gerne ungefragt Ratschläge. Als wir uns mit dem Bootswagen zu schaffen machten, stürzte er sich auf den jungen Typen mit dem Gummikajak, der jetzt auch gerade eintraf, und Ulrike meinte später: "Für jemanden, der seine Ruhe haben will, sabbelt der ganz schön viel." Der Faltbootfahrer meinte zuvor, oben beim Campingplatz würden sie alle Zeltcamper abweisen und nach nebenan schicken (beim Gang zum Essen haben wir aber ein Einzelzelt dort stehen sehen), wir sollten deshalb zu den Ruderern gehen. Ulrike versuchte das, traf aber gerade niemanden an und hat uns dann beim Havelberger Wassersportverein noch eins weiter angemeldet. Das war ihm dann auch nicht recht, "da gehe ich nicht wieder hin!" (kann es sein, dass er da mal Stress bekommen hat?). Wir jedenfalls wurden freundlich empfangen und durften unser Zelt auf einem Platz aufbauen, der morgens wie abends im Schatten lag. So hatten denn jetzt also wir unsere Ruhe.
Nach dem Aufbauen musste ich zum Einkaufen weite Wege gehen, ich war über eine Stunde unterwegs. Danach gingen wir Essen, diesmal gab es einen Griechen. Der hatte allerdings heute einen ganz schlechten Tag: Erst brachte er zwei falsche Essen, vergaß dann die Biere, vergaß dann das Brot zum (inzwischen richtigen) Essen und murmelte am Ende etwas von zwei Ouzo, auf die wir auch noch eine ganze Weile lang warten mussten.
Der Tag wurde abgeschlossen mit einer kleinen Flasche Prosecco (vom Einkauf, dieses Bootshaus hatte wieder einen Kühlschrank) zur Feier des Umstandes, dass wir die Elbe fast erreicht haben, 3 km fehlten uns morgen noch dazu.
Tagesstrecke 16 km
Heute war nun ich es, der leichte Erkältungszeichen spürte. Trotzdem kamen wir einigermaßen früh los. Ein ca. 3 km langer Kanal mit einer Schleuse trennte uns noch von der Elbe. Und beim Schleusen zeigte sich, dass es auch anders geht: Bei der Anmeldung hieß es: "Ja, die Kammer ist vorbereitet, geht sofort los", und kaum saß ich wieder im Boot, öffnete sich auch schon das Tor. In der Schleuse nisteten massenweise Schwalben unter der oberen Einfassung der Spundwände und flitzten zwitschernd kreuz und quer durch die Kammer, das war ein schöner Anblick, ich mag diese Vögel sehr.
Die Elbe zeigte sich weit breiter und offener als die Havel, und vor allem begrüßte sie uns mit Strömung! Nun sollten wir auch wieder in der Lage sein, größere Tagesstrecken zurückzulegen. Bei alledem war die Elbe sehr einsam, außer drei Motorbooten, die uns im Pulk überholten, trafen wir den ganzen Tag lang niemanden. Na ja, unseren speziellen "Freund" mit dem Zweierfaltboot haben wir gesehen. Er lag zwischen zwei Stacks am Ufer und hat anscheinend in seinem Boot sitzend ein Nickerchen gehalten. Und wir haben selbstverständlich Rücksicht genommen und uns bemüht, ihn nicht zu wecken.
Zehn Kilometer vor Wittenberge kam ein recht kräftiger Wind direkt von vorne auf, der einiges an Wellen aufwarf. Aber dieses letzte Stück hatten wir bis ca. 1700 Uhr auch geschafft. Zelten konnte man am Yachthafen, der Zugang ging am besten über das Flussufer, man musste also 250 Meter an der Einfahrt vorbeifahren. Nach dem Aufbauen war sogar noch Zeit für ein kleines Bad in der Elbe (nicht warm, aber erfrischend). Um 1800 Uhr kam der Hafenmeister, nahm 9 € und versprach, morgen früh dafür sogar vier frische Brötchen mitzubringen. Am Hafen gibt es auch ein Restaurant, wo ich richtige Spaghetti Carbonara bekam.
Tagesstrecke 37 km
In der Tüte, die ich vom Hafenmeister entgegennahm, waren fünf statt der bestellten vier Brötchen. Aber das bemerkten wir erst, als der Tee fertig war und das Hafenmeisterauto (er nannte es sein "CarOffice") schon wieder fort war, außerdem war das die letzte Brötchentüte aus seinem Kofferraum gewesen.
A HREF="../bilder/P_2022_Hvl/slides/P_2022_HVL_043.htm" TARGET="_BLANK" ALT="Das Bild in Originalgröß anzeigen"> Auch heute war den ganzen Tag lang nichts los. Uns begegnete auch kein einziges Binnenschiff, was uns sehr ungewöhnlich erschien. Fast schien es, als sei der Schiffsverkehr eingestellt worden. Und bei genauerem Nachdenken wurde auch klar, dass es tatsächlich so sein musste, dann uns sind schon gestern etliche Fahrwassertonnen aufgefallen, die trocken am Ufer lagen. Uns erschien der Bach immer noch breit und tief, aber für vergleichsweise große Schiffe mag das in der Tat anders ausgesehen haben.
Von Schnackenburg habe ich leider im Vorbeifahren kein Foto gemacht, aber es wäre eines Wert gewesen - ein nettes Städtchen, rote Ziegelhäuser mit Reetdach ducken sich hinter dem Deich. Ab hier begann früher auf der linken Seite die BRD, rechts war noch viele Kilometer lang DDR. Damals fand hier regelmäßig eine Grenzfahrt statt, und es gab im Rotenburger Kanuverein jemanden, der dabei immer davon erzählt hat, wie er selbst hier mal unter Lebensgefahr herübergeschwommen ist, allerdings wollte er damals von den Russen weg zu den Amerikanern hin, Anno 1945 war das.
Etwa 10 km vor unserem Ziel frischte der Wind stark auf, und es wurde mühsam. Schließlich mussten wir den Gorlebener Haken 2 km wieder zurückfahren zum Yachthafen, dort sollte man zelten können. Dies soll ja wie so vieles hier extra gesponsert worden sein von der Atomindustrie oder von der Politik zur Stützung der Atomindustrie (was ich persönlich noch schlimmer fände), aber da wir in jedem Fall einen Teil davon auch selbst bezahlt haben, wollten wir nun versuchen, das auch mal zu nutzen. Es gab hier zwar einen geeignet niedrigen Schwimmponton, aber die bepackten Boote dann über zwei alte Bretter hoch an Land zu bekommen würde schwierig werden. Ein Niederländer saß oben vor seinem Wohnmobil und sagte, der Hafenmeister käme in einer Stunde (1830). Aber die Zeltwiese war eine einzige schiefe Ebene, wir hätten wahrscheinlich die ganze Nacht lang dagegen ankämpfen müssen, nicht in die Fußenden unserer Schlafsäcke zu rutschen. Aber es musste ja nicht sein, vorsorglich hatten wir heute früh schon unseren Wassersack gefüllt. Da wollte ich jetzt aber wenigstens noch unsere unterwegs fast ausgetrunkenen Wasserflaschen wieder auffüllen und ging damit noch einmal hoch. Doch an der Zapfstelle hieß es: "nach Einwurf von 5 €". Dafür hätte es zwar dann satte 10 Minuten lang Wasser geben sollen, aber das brauchten wir bei Weitem nicht.
Also wieder zurück auf die Elbe und auf der anderen Seite wild gezeltet. Ein schöner Platz, es war nur etwas schwierig, das Zelt im Sturm aufzustellen. Die letzte Flasche Rotwein wurde geköpft, wir hätten auch Feuer machen können, wenn der Wind nicht gewesen wäre, der Ort war eigentlich ideal für eine Nacht Naturcamping.
Tagesstrecke 39 km
Der Wind blies die ganze Nacht hindurch, so fuhren wir gleich mit aufgezogener Spritzdecke los. Bei Dömitz begegnete uns ein Ausflugsdampfer mit ganz wenigen Gästen an Bord, ansonsten war es mal wieder sehr einsam.
Vor den Toren von Hitzacker (sie hatten hier nach mehreren "Jahrhundert"hochwassern schon Anfang dieses Jahrhunderts tatsächlich wieder eine Stadtmauer errichtet) legten wir an. Ich habe mich nach einer Einkaufsmöglichkeit erkundigt und wurde an ein Geschäft namens "Bioinsel" verwiesen. Hitzacker ist ein schnuckeliges Städtchen, viele kleine Häuser aus rotem Backstein mit etlichen Geschäften im Zentrum und offenbar starker alternativer Gemeinde - Töpferei, Kunsthandwerk, Bücher... Und ich kam wieder mit Bio-Brot, Bio-Butter, Bio-Snacks und Bio-Rotwein mit Namen "Leichtsinn".
Der Tag sollte schließlich auf dem Campingplatz Elbufer in Klein Kühren enden. Zum Anlegen fährt man am besten ganz ans Ende, da kommt man am Leichtesten raus. Neben uns Russen mit vollem Equipment - anscheinend zwei Familien mit zusammen vier Kindern, waren mit zwei großen PKW und zwei Anhängern da, hatten Zelt, Pavillon und Plastikzaun aufgebaut, zündeten den Grill mit einem Gerät zum Abflämmen von Unkraut auf Gehwegen an und bliesen die Luftmatratzen mit einem vom Auto getriebenem Kompressor auf. Auf der anderen Seite das Gegenteil: Zwei Motorräder, dazwischen eine Plane gespannt, die Schlafsäcke lagen darunter.
Tagesstrecke 42 km
Die Russen machten bis morgens um drei Remmidemmi, dann gingen sie nochmal runter ans Ufer zum Angeln, ließen aber das Radio plärren. Das wurde mir zu bunt und ich quälte mich aus dem Schlafsack. Doch ich tat den Russen Unrecht, das Radio stand auf der anderen Seite unter dem Tarp zwischen den beiden Kuttenträgern, die durch Rufen nicht wach zu kriegen waren. Ich musste einen bei den Füßen schütteln und danach einen etwas längeren Disput mit ihm führen, bis er sich endlich bequemte, das Mistding auszuschalten. Warum scheinen sich manche Typen darin zu gefallen, sich wie ein Arschloch zu benehmen?
Die beiden Motorradfahrer waren am Morgen erstaunlich früh fit und brummten bald ab, während die Russen in den Seilen hingen, bis wir weg waren. Aber heute war auch unser Tag nicht. Der Wind hatte noch weiter zugenommen, kam direkt von vorne und baute Wellen auf, die bis zu einem halben Meter hoch wurden. Diesen Effekt von Wind gegen Strom kann man auf der Elbe öfters mal beobachten, bei einer Vierlandenfahrt vor einigen Jahren war das genauso, und mein damaliger Mitpaddler wurde seekrank, wir mussten die Tour dann abbrechen.
Auch wir sind trotz stabilerer Mägen nicht den ganzen Tag lang dagegen angefahren, sondern sind in den Hafen von Bleckede eingebogen und haben beim dortigen Bootsclub unser Zelt wieder aufgestellt. Die größte Herausforderung bestand hier darin, die beladenen Boote aus dem Wasser auf den Schwimmsteg zu heben. Dort konnten wir dann den Bootswagen unterschnallen, der Schwenk Richtung Land war geräumig genug, dass wir damit gut um die Ecke kamen. Ein weiterer Gast aus Hamburg war mit einem richtig großen Canadier schon länger hier, er hatte sein Boot allerdings im Wasser liegen gelassen. Er war aber als Einzelperson auch mit mehr Gepäck unterwegs als wir zu zweit, sein Zelt umbaute doppelt so viel Volumen, er hatte eine Kühlbox im Boot und einen Elektromotor mit Batterie als Antrieb.
Hier war diese Tage Schützenfest, richtig ruhig würde diese Nacht also auch nicht werden. Bei der Ankunft fuhren wir an Spielmannsmusik vorbei, jetzt arbeitete mindestens ein Fahrgeschäft. Zwar war das Remmidemmi hier einen Kilometer entfernt, aber auch lauter als dasjenige von den Russen gestern. Ich ging noch einmal einholen - Teebeutel und Pausenkekse - und kam dabei am Festplatz vorbei. Da gab es das Übliche: Autoscooter, ein Schiefe-Ebene-Gondel-Karussell, Dosenwerfen, Currywurst, Crêpes und Poffertjes, eine verwaiste Losbude, ein Riesen-Bierzelt. Dazwischen viele uniformierte Männer mit Orden behängt, einige trugen Holzgewehre nur wenig besser als das, welches ich mir als Kind mal aus einer übriggebliebenen Dachlatte gebaut hatte.
Wieder zurück lag am Anleger inzwischen ein weiteres Boot, sehr schick aus Holz gebaut. Ulrike erzählte, bei der Anmeldung beim Hafenmeister sei davon jemand reingekommen und habe gesagt: "Wir sind die Zero!" Sie habe eigentlich sagen sollen "ich bin 'Otto' und 'nicht ganz dicht'", denn unsere Boote haben natürlich auch Namen, aber Schlagfertigkeit ist bekanntlich das, was einem auf dem Nachhauseweg einfällt.
Zum Abendessen gingen wir noch einmal in den Ort zu einem echten Italiener.
Tagesstrecke 16 km
In der Nacht wurde es mal wieder reichlich kalt, aber am Morgen war der Wind erst einmal weg. Er hatte allerdings eine Lage Wolken dagelassen. Doch davon haben wir uns diesmal nicht täuschen lassen. Schon einmal hatten wir deswegen auf einen Hautschontag spekuliert und uns stattdessen einiges an Sonnenbrand eingehandelt. Und auch heute waren wir gar nicht lange unterwegs, als es aufklarte. Vorher konnten wir noch feststellen, dass zumindest ein Teil der Leute von dem Holzboot an Land im Hotel übernachtet haben musste. Als wir unsere gepackten Boote auf den Steg fuhren, stand dort noch ein Rollkoffer mit "Emirates"-Anhänger. Die Mannschaft brauchte für meinen Geschmack sehr lange, um das Boot klar zu machen, und alle sahen dabei so aus wie auf den Bildern des Kataloges eines Yachtausrüsters.
Man merkte, dass heute Sonntag war. Es waren jetzt allerhand Fahrzeuge unterwegs von jenem Typ, für den ein Vereinskollege mal den Begriff "Motorbratze" geprägt hatte: Offene kleine Boote, angetrieben von einem möglichst großen Außenborder sowie dem inneren Zwang, wo immer es geht eine Höchstgeschwindigkeit zu erreichen. Ab Lauenburg kamen auch wieder Binnenschiffe hinzu, denn hier ging rechts der Elbe-Lübeck-Kanal und links der Elbe-Seitenkanal ab. Und hier frischte der Wind auch wieder spürbar auf, fand beinahe wieder zurück zur gestrigen Form.
So legten wir an am Campingplatz Hohes Elbufer. Der Canadiermensch aus Bleckede war auch schon da, er meinte, er hätte noch nie so hohe Wellen aus so wenig Wind erlebt. Der Platzwart verkaufte uns ein paar Flaschen Bier aus seinem Kühlschrank, und kochen konnten wir aus unseren Vorräten. Als Nachbarn hatten wir wieder einmal Niederländer, ein Ehepaar mit erwachsener Tochter, die schon bald mit dem Auto losfuhren, um ein Lokal zu suchen, in welchem ein heute stattfindendes Fußballspiel der Damen (1800 Uhr: Schweiz - Niederlande) übertragen werden würde. Wir waren da ziemlich skeptisch, ob sie da Erfolg haben würden, zumindest die öffentlich-rechtlichen Sender haben schließlich nur die Spiele mit deutscher Beteiligung gezeigt.
Tagesstrecke 28 km
Für heute hatten wir uns ganz untypisch mal wieder einen Wecker gestellt, und zwar auf 700 Uhr! So kam es, dass wir losfuhren, noch bevor unsere niederländischen Nachbarn überhaupt alle wach waren, der Canadierkollege war allerdings auch schon weg. Aber der wollte heute ganz nach Hamburg, wir nur nach Over.
Der Flussführer warnt vor gefährlichen Querströmungen beim Pumpspeicherkraftwerk, bei den heutigen Ententeichbedingungen war jedoch gut zu sehen, dass während unserer Vorbeifahrt da gerade nichts dergleichen passierte. Trotzdem würde ich empfehlen, solche Warnungen ernst zu nehmen und hier lieber kurz auf die niedersächsische Seite zu wechseln. Kurz vor der Schleuse wurden wir von einem Binnenschiff und einer Motoryacht überholt, und so legten wir einen ziemlich anstrengenden Spurt über wohl anderthalb Kilometer ein, um auch noch mitgenommen zu werden. Das klappte auch so gerade eben noch, denn es kamen noch vier weitere Yachten, sonst hätten wir das wohl nicht geschafft. An einer der Yachten gingen wir in der Kammer längsseits. Das hatte den Vorteil, dass wir uns nicht die Hände dreckig machen mussten an einer schmierigen Leiter und kaum mitbekamen, wie es abwärts ging.
Das Tor ging auf und das Binnenschiff schob sich vorsichtig hinaus, da sahen wir, dass die vorderste Yacht sich anscheinend an ihrem Festmacherseil aufgehängt hatte, jedenfalls hatte sie Schwierigkeiten, sich zu lösen. Das nutzten wir aus, um schnell aus der Kammer zu flitzen, bevor das Wellengeschwabbel der Meute einsetzen würde. Die Meute kam nämlich dann auch voll Stoff hinterher, es machte den Eindruck, als bekäme das erste Schiff am Kanalausgang mindestens Freibier für alle an Bord.
Wir aber zuckelten in aller Gemütsruhe weiter, die Tide stand günstig, der Schiffsverkehr hatte zunächst einmal auch wieder aufgehört, und kamen schließlich zu unserer Wochenendhütte nach Over. Hier musste nun kein Zelt mehr aufgebaut werden, sondern wir konnten endlich wieder in einem eigenen Bett schlafen, welch Wohltat!
Damit konnte man die Reise beinahe als abgeschlossen betrachten, die noch fälligen 21 km nach Hamburg zählen ja fast schon zu unseren Hausstrecken. Aber mindestens morgen wollten wir auf alle Fälle erst einmal hierbleiben und zur Abwechslung mal gar nichts tun, schließlich hatten wir ja noch die ganze Woche Urlaub.
Tagesstrecke 31 km
Ruhetag: Einkaufen (hier hatten wir ja wieder einen Kühlschrank), Rasen mähen, abhängen, abends grillen ...
Tagesstrecke 0 km
Für heute war Hitze und für morgen für den Nachmittag Gewitterneigung und dann hohe Regenwahrscheinlichkeit vorhergesagt, also haben wir beschlossen, schon heute nach Hause zu fahren. Die Tide war für beide Tage noch gut, verschiebt sich aber bekanntlich immer Tag für Tag je um etwa eine Stunde nach hinten, es war somit nicht ratsam, noch länger damit zu warten. Also wurde in aller Ruhe gepackt, was sich jetzt relativ einfach gestaltete: Alle Klamotten in irgendeinen wasserdichten Büdel - das kommt nachher eh alles in die Wäsche! Vor der Abfahrt noch das T-Shirt unter den Wasserhahn halten und nass anziehen, das könnte bis zu eine Stunde erträgliche Körpertemperatur bedeuten.
Die Fahrt verlief zunächst ereignislos auf bekannter Strecke. Dann fiel uns aber auf, dass im Zollkanal sehr viel mehr Schlick zu sehen war als sonst, und auch in der Speicherstadt guckte an einigen Stellen der Grund über die Wasseroberfläche. Natürlich wird jeder Politiker jetzt vehement bestreiten, dass das an der Elbvertiefung liegen könne, und gerechterweise kann ich das mangels eigener Sachkenntnis auch nicht direkt behaupten, aber es soll Experten geben, die das tun, und Fakt ist, dass wir das zweieinhalb Stunden vor Niedrigwasser hier noch nie so angetroffen haben.
In der Rathausschleuse hatten wir das "Vergnügen", zusammen mit einem Alsterdampfer geschleust zu werden, und kamen somit in den "Genuss" der Erläuterungen des Skippers für die auswärtigen Touristen, welche so einen Bart haben, dass man aufpassen muss, dass man sich im Kajak nicht versehentlich draufsetzt ("in einer Schleuse ist es wie in einer guten Ehe - mindestens einer muss immer die Klappe halten" usw.) Aber auch das ging vorüber, und immerhin haben wir dafür nicht auch noch Geld bezahlen müssen wie die armen Leute in dem Seelenverkäufer uns.
Nachdem wir uns den Weg durch die Massen von mehr oder weniger lenkkundigen Tretboot- und SUP-Fahrern auf der Alster gebahnt hatten, war auch am Bootshaus Hochbetrieb. Während Ulrike mit Öffis nach Hause fuhr und das Auto holte, konnte ich nach dem Zerlegen des Faltbootes noch einen Moment lang unseren neueren Vereinsmitgliedern beim Planschen zugucken (Lehrgang "Kentern", wahrscheinlich am geeignetsten Tag des ganzen Jahres anberaumt heute).
Tagesstrecke 21 km
Gesamtstrecke 385 km B-HH + 9 km Vorfahrten
[1] Eck, Günter: Deutsches Flusswanderbuch, DKV Verlag, 26. Auflage 2011, ISBN: 9783937743271
(inzwischen ist die 27. Auflage erschienen, 2018, ISBN 9783937743820, und die 28. Auflage soll demnächst erscheinen)
[2] Touren-Atlas TA5 Berlin-Brandenburg, Jübermann-Kartographie, 6. Auflage 2018, ISBN 9783929540680
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