Dies war wieder eine Unternehmung aus der Reihe "Deutsche Mittelgebirge", auch wenn wir auch diesmal wieder kurz die Landesgrenzen verlassen wollten. Denn so wie bei der Fahrt in den Bayerischen Wald 2012 wollten wir auch jetzt wieder die Tschechei besuchen, nun sogar in verstärktem Maße - ich hatte für zwei Nächte eine Unterkunft in Prag gebucht.
Nach einem guten Frühstück wollten wir nicht zu spät aufbrechen, denn für den ersten Tag hatten wir uns schon einmal eine ordentliche Strecke vorgenommen. Und schon in der Tiefgarage mussten wir die Regensachen anziehen. Aber eigentlich war das auch klar, denn Ulrike hatte heute Morgen neben den Brötchen auch ein Hamburger Abendblatt mitgebracht und dieses in ihren Koffer gesteckt. Das benutzt sie traditionell immer, um ihre Stiefel damit auszustopfen, wenn diese nach einem Regenguss innen nass geworden sind. Und so hatte ich schon beim Packen behauptet, dass hiermit die Schuldfrage eindeutig geklärt sei, wenn wir unterwegs Regen bekämen. Aber natürlich ist das nicht richtig, denn Tatsache ist: Es wird regnen. Punkt. Bei einer neuntägigen Tour Mitte Mai in Mitteleuropa kann das gar nicht anders sein. Also wird die Zeitung gebraucht, und ich muss nur zugucken, das Samurai-Sudoku (eine knifflige Kombination von 5 Sudoku-Feldern) darin rechtzeitig zu lösen, damit sie auch dieses Blatt irgendwann verstiefeln kann. Und vielleicht ist es ja auch ganz gut, am Anfang gleich den Regen zu bekommen, um hoffentlich für den Rest der Fahrt weitgehend davon verschont zu bleiben.
Auch in anderer Hinsicht kriegten wir schon am ersten Tag unser Fett weg, beim Thema Stau nämlich. Zwei davon hatten wir schon in Gegenrichtung beobachtet, aber bei Westenholz waren wir selbst dran. Der Rasthof Allertal war durch die den Stau verursachende Baustelle gesperrt, also fuhren wir noch ums Kreuz herum und machten danach unsere erste Pause. Auf diesem Rasthof (Lehrter See Süd) stand ein PKW mit Anhänger, auf welchen wiederum ein PKW transportiert wurde. Und letzterer war mit Verzurrgurten ge"sichert", die an seinen Außenspiegeln befestigt waren. Wir waren uns beide sicher, dass das auf keinen Fall halten würde, wenn es hart auf hart käme. Aber der Besitzer des Zugfahrzeuges war durch einen großen Aufkleber als HSV-Fan ausgewiesen, da war er das Verlieren ja sicher schon gewohnt (es war dies ja das zweite Jahr in Folge, wo der HSV nur mit viel Glück im Relegationsrückspiel gerade noch den Abstieg in die 2. Liga verhindern konnte).
Hinter Braunschweig sollte Schluss sein mit Autobahn, weiter ging es über Landstraßen nach Wernigerode und durch den Harz. Den Kyffhäuser ließen wir aus, weil erstens bereits hinlänglich bekannt, zweitens jetzt am Wochenende möglicherweise zu sehr bevölkert von Möchtegern-Rennfahrern und drittens dann höchstwahrscheinlich unter starker Beobachtung der Polizei, um überzogene Geschwindigkeitsbeschränkungen durchzusetzen, die wiederum den Kollegen von Punkt 2 geschuldet sind. Wir hielten uns dagegen westlich von der B4, und die Gegend dort war auch ganz nett und zudem leer genug, um das auch genießen zu können.
Bei einer Pause fuhr ein riesengroßer Traktor an uns vorbei, der einen Spritzenanhänger zog, auf dessen Tank der Text "Evolution 2" stand. Das war sicher nur die Modellbezeichnung des Gerätes, erweckte aber trotzdem in uns die Assoziation eines Gentechnik verarbeitenden Betriebes der Agrarindustrie, der hier mit der Giftspritze versuchen wollte, Mutter Natur noch einmal auf die Sprünge zu helfen und ein paar Insektenarten auszurotten. Später dann hätte ich es gerne gesehen, wenn man der Architektur mal etwas auf die Sprünge geholfen hätte, denn zum Beispiel in der Stadt Gotha kamen wir an einigen großen Wohnhäusern vorbei, die etwa ein Jahrhundert alt und früher einmal schön gewesen waren, aber komplett leer standen und starke Anzeichen fortschreitenden Verfalls zeigten. Wir sahen allerdings im ganzen Osten auch viele Häuser ähnlichen Alters, die noch bewohnt und in annehmbarem bis hin zu frisch renoviertem Zustand waren und gut aussahen.
Über Ohrdruf und Oberhof kamen wir nun in den Thüringer Wald - ich kann es gar nicht oft genug sagen: Immer noch meine Lieblingsgegend zum Motorradfahren in Deutschland, soweit wir dieses bislang schon bereist haben. Leider konnten wir uns hier nicht allzulange aufhalten, denn unser erstes Etappenziel lag noch ein Stück weiter südlicher: Die Stadt Bad Rodach.
Hier sind wir nun schon einige Male gewesen und nie enttäuscht worden, aber heute geschah dies insofern, als das Restaurant gegenüber (das zwar offiziell nicht zum Hotel gehörte, aber irgendwie schon immer damit zusammengearbeitet hatte) zugemacht hatte. Und dort hatten wir bislang stets gerne und gut gegessen. Aber da es damit nun wohl vorbei war, gingen wir in den Ort. Der kam uns zuerst auch sehr ausgestorben vor, und ein anderes Restaurant, welches wir ebenfalls in guter Erinnerung hatten, gab es inzwischen auch nicht mehr. Schließlich aber fanden wir die Trattoria San Marco, wo viel Betrieb war und ich einen leckeren Teller Spaghetti Aglio, Olio e Peperoncino nebst Bier bekommen konnte.
Tagesstrecke 521 km, km 34258 (los bei km 33737)
Nachdem wir gestern immer mal wieder einen kleinen Regenschauer abbekommen hatten und selbst während des Abendessens draußen noch einer niederging, schien heute früh die Sonne von blauem Himmel. Der Wirt erzählte uns beim Frühstück, gegenüber sei geschlossen worden, weil keine Leute mehr zu bekommen gewesen seien, "es will niemand mehr arbeiten in Deutschland". Ich bin ja eher skeptisch, wenn von Arbeitgeberseite über "Fachkräftemangel" geklagt wird, muss allerdings gestehen, das insbesondere in dieser Branche nicht fundiert beurteilen zu können. Auf alle Fälle befürchte ich, dass zumindest auf uns durch diesen Wegfall diese Location einiges von ihrer Anziehungskraft verloren haben könnte.
Wie auch immer, wir wollten weiter, und das Wetter sowie leere Bayerische Straßen an einem ruhigen Sonntagmorgen luden uns geradezu ein. Irgendwo hinter Coburg kamen wir an einem Hinweis auf den "Jugendzeltplatz Sauloch" vorbei. Das gab natürlich bei der nächsten Pause Anlass für sarkastische Bemerkungen, ich bin aber der Meinung, die Jugend ist besser als ihr Ruf und benimmt sich unbeaufsichtigt nicht automatisch gleich wie die Ferkel, auch wenn man ihr nur ein Loch zum Zelten zur Verfügung stellt.
Die Stadt Hof fand ich ganz nett, wir haben da einige schöne Gebäude zu sehen bekommen. Das kann daran gelegen haben, dass ich die Ansagen des Navis falsch interpretiert hatte und eine Kreuzung zu früh links abgebogen bin, aber das war überhaupt nicht schlimm, und Ulrike hinter mir hatte das gar nicht bemerkt, bis ich es ihr gesagt hatte.
Kurze Zeit später überquerten wir die ehemalige Grenze zur DDR und waren nun im Vogtland. Dieses begrüßte uns nach einer Weile mit einer großen Baustelle. Wenn man nun weit weg von Zuhause nach einer vor Tagen auf dem Navi (in diesem Fall auch noch von einer anderen Person) ausgearbeiteten Route fährt, dann kann man bei einem Hinweis "Straße nach Adorf gesperrt" meist gar nicht beurteilen, ob dies denn auch den eigenen Weg betrifft oder die Route nicht doch noch kurz davor irgendwohin abbiegt. Also fuhr ich erst einmal weiter, um dann zu erkennen, es nützt alles nichts, wir müssen die Naviroute anpassen und die Umleitung nehmen. Kurz vor Adorf (der Ort hieß wirklich so) dann sagte das Navi plötzlich: "Wenn möglich, wenden Sie!", und es schien auch ganz eindeutig, warum: Neben der Straße stand hier ein blau-gelb gestrichenes Gebäude, das als "Ukrainisches Grenzhaus" bezeichnet war. Da sind wir nun doch definitiv zu weit nach Osten geraten! In Wahrheit hatte ich vorhin zwar einen Wegpunkt aus der Route entfernt, aber übersehen, dass die Umleitungsstrecke auch den folgenden Wegpunkt obsolet gemacht hatte. Ohne diesen Fehler wären wir jedoch nicht in den Genuss dieses etwas skurrilen Anblicks gekommen.
Kurz vor unserem heutigen Ziel entdeckte ich rechts einen Hinweis auf einen Aussichtsturm. Und weil mich solche Türme immer reizen und wir noch richtig viel Zeit hatten, bogen wir dorthin ab. Das ging ein paar Kilometer steil den Berg hoch und endete neben einer Jugendherberge (warum müssen die eigentlich immer in den verlassensten Ecken liegen? Das hatte mich als Kind auf Klassenreisen immer sehr geärgert). Hier stand dann der "Wanderaussichtsturm Otto Hermann Böhm", eine relativ moderne Konstruktion aus Stahl, mit Holz verkleidet. Um die 154 Stufen erklimmen zu können, musste man unten ein Drehkreuz passieren, dessen Automat den Einwurf von Münzen zu 1 ¤ forderte. Eine Gruppe von vier älteren Leuten stand etwas ratlos davor, sie hatten nicht genug passendes Geld. Ich hatte jedoch vier der gefragten Münzen in der Tasche und konnte wechseln, damit reichte es dann für alle. So stiegen wir hoch und genossen die schöne Aussicht dort. Etwas schade war nur, dass man die schlecht geputzten Fenster nicht öffnen konnte und meine Fotos deswegen nicht besonders toll wurden.
Ein paar Kilometer weiter, den nächsten Berg hoch auf der Passhöhe kamen wir zum Waldhotel Vogtland, wo wir für die nächsten 2 Nächte eine Zimmer reserviert hatten. An der Rezeption gab es eine Vitrine voll mit Mundharmonikas zusammen mit dem Hinweis, dass die Herstellerfirma Seydel ganz in der Nähe wäre und für Gruppen Werksbesichtigungen möglich wären. Meine Mundharmonika im Gepäck stammt zwar vom großen nationalen Mitbewerber, ich hätte mir den Betrieb trotzdem gerne mal angeguckt, wahrscheinlich würden wir zwei uns aber kaum als Gruppe ausgeben können.
Nach einem ausgiebigen Waldspaziergang blieb uns nur, entweder zum Abendessen einige Kilometer weit zu fahren oder das hoteleigene Restaurant aufzusuchen. Aber letzteres war vollkommen ok, dort gab es ein Steak au Four, mit Käse überbackenes Schweinefleisch, das sich als eine unglaublich magenfüllende Portion erwies.
Tagesstrecke 190 km, km 34448
Beim Frühstücken fiel mein Blick auf die Zimmerschlüssel, die wir zum Nachweis unserer Gästeschaft frei sichtbar auf den Tisch gelegt hatten, und ich fand an dem Bund nur anderthalb Schlüssel vor. Der Rest des zweiten steckte, wie sich schnell herausstellte, im Schloss unserer Zimmertür, und gestern beim Aufschließen hatte Ulrike gar nicht bemerkt, dass er dabei abgebrochen war. An der Rezeption versprach man uns ohne Umschweife, den Zylinder im Laufe des Tages austauschen zu lassen, lediglich den alten Schlüssel mussten wir natürlich da lassen, während wir uns auf die heutige Moppedtour begaben.
Während dieser Tour hatte ich immer mal wieder Ursache, mich über ungewöhnliche Ortsnamen hier in der Gegend zu beömmeln: "Morgenröthe-Rautenkranz, Gemeinde Muldenhammer" zum Beispiel. Dort am Ortsausgang stand rechts eine Halle mit Schild "Raumfahrtausstellung", aber auf dem Gelände davor standen nur zwei höchst irdische Flugzeuge. Und im Ort "Schnarrentanne" fuhren wir an einem Holzschuppen vorbei, an dessen Vorderseite ein verrostetes Fragment eines Motorrades der Kategorie "DKW 175" befestigt war, und daneben ein Holzschild, auf dem "Edelschmiede" stand.
Ansonsten endete gefühlt jeder zweite Ortsname hier mit "grün": Jägersgrün, Irfersgrün, Wernesgrün (an der Brauerei sind wir vorbeigefahren), Hartmannsgrün, Poppengrün, ... Und Grün war auch die Farbe, die ganz klar vorherrschte in der schönen Landschaft um uns herum. Untermalt wurde dies mit dem Gelb von einer Masse Butterblumen auf den Weiden sowie etlichen Rapsfeldern. Dass ich diese Region nicht sofort ganz oben auf die Liste meiner Lieblingsgegenden setzen wollte, lag hauptsächlich an teilweise recht schlechtem Straßenbelag und daran, dass wir heute wie auch gestern schon wieder viele Baustellen und Umleitungen präsentiert bekamen. Wobei mir natürlich klar ist, dass diese Baustellen Voraussetzung dafür sind, irgendwann einmal von "Sahne-Asphalt" schwärmen zu können.
Oftmals fanden sich an zentraler Stelle der Ortschaften Bauwerke, welche den in dieser Gegend gerne hergestellten Weihnachtsmühlen nachempfunden waren: Mehrere Meter hohe Pyramiden aus vier Holzbalken, die obere Spitze entfernt, an deren Stelle ein riesiges Flügelrad mit vertikaler Achse, und weiter unten an den Kanten je eine große Laterne, die in der Regel auch wie eine überdimensionale Kerze gestaltet war. Auch die sogenannten Schwibbögen sahen wir oft: Kreisabschnitte aus Guss- oder Schmiedeeisen mit figürlicher Ornamentik, gerne auch etwa einen Meter hoch.
In Markneukirchen hatten wir als Option eingeplant, vielleicht das Musikinstrumentenmuseum zu besuchen. Das war jedoch montags geschlossen (was auf dem Flyer aus der Hotelrezeption auch irgendwo stand, wir hatten das nur beide übersehen). Also habe ich das Navi gereicht bekommen, um an unsere gefahrene Runde noch schnell eine kleine Tour hinten dranzuhängen, die durch wieder eine Umleitung nochmal um ein Stück verlängert wurde.
Zum Abendessen gab es diesmal ein Gericht namens "Aschbergschmaus": Schweinegeschnetzeltes mit Pilzen und Schmandsauce, Kartoffelkroketten und Salatbeilage. Auch dieses war wieder so reichhaltig, dass ich danach keinen Blick mehr in die Eiskarte werfen mochte zwecks Nachtisch.
Tagesstrecke 226 km, km 34674
Der Gedanke für heute war, hinüber nach Tschechien zu fahren, dann auf kleinen Straßen entlang der Grenze ein Stück nach Osten durchs Gebirge zu kurven, bevor es dann auf eher besser ausgebauten Routen nach Prag gehen sollte. Allerdings kannte unser Navi dieses Land überhaupt nicht, und da ich beim Kauf meines Tankrucksackes davon ausgegangen war, eigentlich immer mit Navi auf Reisen zu sein, hatte dieser auch kein Kartenfach. Da musste ich also jetzt etwas improvisieren, indem ich eine Art Roadbook auf Zettel aus einem A5-Notizblock schrieb und diese mit Tesafilm hinter meine Scheibe klebte. Das ist mir anscheinend richtig gut gelungen, wir mussten kaum einmal irgendwelche Kringel drehen, weil wir die richtige Route nicht gefunden hätten. Das wäre zwar auch nicht schlimm gewesen, wir waren schließlich zum Motorradfahren unterwegs, aber ich finde es es trotzdem ganz beruhigend, dass man mit moderner Technik nicht gleich verlernt, auch ohne dieselbe halbwegs dort anzukommen, wo man hin will.
Auch die Routenplanung schien erfolgreich gewesen zu sein. Wir fanden eine tolle Landschaft vor (die ändert sich aber natürlich auch nicht sofort, nur weil jetzt eine Landesgrenze dazwischen liegt), der Straßenzustand variierte aber stark zwischen prima und kaum noch tragbar. Bestes Beispiel dafür war die Strecke zwischen Nejdek und Pernink; Zunächst schraubte sich die Straße auf neuem Asphalt ganz toll hoch in die Berge, dann plötzlich kam ein nur etwa 4 Meter breiter Brückenbogen unter einer Eisenbahn, danach blieb die Route nicht nur schmal, sondern auch sehr holperig.
Kurz vor Chomoutov war dann erstmal Schluss mit Lustig, nun ging es ein Stück auf großen Straßen weiter, schließlich wollten wir ja irgendwann heute noch die Hauptstadt erreichen. Aber zwischen Žatec und Řevničov hatte ich noch eine Etappe über die Dörfer eingebaut, und insbesondere zwischen Markvarec und Ročov hatte sich das noch einmal richtig gelohnt. Im weiteren Verlauf wurde es zum Ausgleich dafür richtig öde, denn die Landstraße Nr. 6 war überwiegend autobahnähnlich ausgebaut, was uns unsere zugegeben 24 Jahre alte Karte [1] arglistig verschwiegen hatte. Da sollten wir zukünftig sicher mal etwas weniger Geiz walten lassen - in dörflichen Regionen leistet eine solche Karte sicher noch auf viele weitere Jahre gute Dienste, aber an den Hauptverkehrsstrecken tut sich in wenigen Jahren einfach zu viel.
Und in Prag selbst half mir diese Karte natürlich dann überhaupt nicht mehr weiter. Ich hatte zwar ungefähr eine Ahnung, in welche Ecke der Stadt wir hinmussten, aber irgendwann kam dann der Punkt, wo wir Feintuning betreiben mussten. Zu diesem Zweck hatte ich Ausdrucke von Karten aus dem Internet mitgenommen. Aber bisher hatte ich keinerlei Straßennamen irgendwo gesehen, und der Umgebungsplan an der Bushaltestelle, an der wir angehalten hatten, zeigte auch nur eine Straßenkreuzung auf blankem Feld ohne jeglichen Namen. So fehlte uns also als ganz wichtiges Puzzlestück die Info, wo genau wir denn jetzt eigentlich gerade waren. Da musste dann also das "Hilfsnavi" auf Ulrikes Smartphone zum Einsatz kommen, und siehe da, es war gar nicht mehr weit. Eine kurze Irritation gab es noch, als wir auf ein furchtbar schrapeliges Betongebäude zufuhren, an dem in weißer Farbe das Wort "Rezeption" geschrieben stand, so eine Bruchbude wollte ich nicht gebucht haben. Aber die Hausnummer stimmte nicht, und weiter hinten fanden wir dann auch richtig die Pension Vetrnik, ein schmuckes altes Gemäuer. Die Wirtin wie auch der Kellner sprachen deutsch, und wir konnten durch ein ferngesteuertes Tor in den Garten fahren, wo die Gästeparkplätze lagen, so dass man sich keine Sorgen wegen evtl. Fahrzeugdiebstahl machen musste.
Etwas schwieriger gestaltete sich das Unternehmen, sich tschechisches Geld zu besorgen. Wir ließen uns den Weg zu einem Bankautomaten beschreiben, gingen aber erst einmal in die falsche Richtung. Dann an der (wie wir vermuten) richtigen Stelle angekommen, zeigte sich, dass das Gerät hier nur ein Paketautomat und kein Geldautomat war. Dann irrten wir ein Stück weiter und kamen schließlich in eine Straße mit vielen Geschäften, unter denen auch Banken waren. In den ersten Geldautomaten steckte ich meine EC-Karte, um mich dann fragen lassen zu müssen: "Bitte wählen Sie einen Kartentyp", aber der Rest des Bildschirms war und blieb leer, es gab nichts zum Auswählen. Der nächste Automat ein paar hundert Meter weiter funktionierte dann tadellos. Das Hilfsnavi brachte uns wieder zurück, und dort in der Straße fuhr auch die Straßenbahn, die uns morgen in die Stadt bringen würde, das wussten wir nun also auch.
Zum Abendessen konnten wir draußen im Garten sitzen, es gab leckere gebackene Forelle, und als Absacker kostete ich dann mal einen Slivovitz, aber das Zeug war nicht mein Fall.
Tagesstrecke 223 km, km 34897
In der Nacht hatte es geregnet, aber am Morgen war der Himmel wieder blau. Und es war sowieso ein Tag ohne die Moppeds geplant, statt dessen war der ganze heutige Tag der Besichtigung der Stadt Prag vorbehalten. Zum Frühstück gab es neben Kaffee bzw. Tee, Brot, Butter und Marmelade auch eine Karte mit mehr als 10 Variationen Ei (Omelette, Rührei, Spiegelei, auf Schinken, auf Bacon, hartgekocht und einiges mehr), Aus der wir eine wählen konnten, die dann frisch zubereitet wurde (was schon ein spürbarer Unterschied ist zu Rührei, das auf dem Stövchen des Frühstücksbüffets noch eine Viertelstunde nachstockt und dabei trocken wird). Es lief deutsches Radio (das war auch gestern Abend schon so), und der Sender spielte eine gute Mucke mit recht vielen Rock-Klassikern. Bei unserer Wirtin erkundigten wir uns vor dem Losgehen noch nach den Möglichkeiten, Fahrkarten zu kaufen. Sie selbst hatte Karten für die Kurzstrecke vorrätig, die für uns sinnvolle 24-Stunden-Karte würden wir bei Metrostationen oder in Zeitungsläden bekommen. Und ein solcher Laden fand sich bestimmt in unserer Straße mit den vielen Geschäften von gestern.
Unsere Straßenbahn war die Linie 22, von der ich schon gelesen hatte, sie führe durch die besonders schönen Teile der Stadt. Nach ein paar Stationen stieg ein Trupp Japaner zu, und Ulrike sagte: "Der Tipp hat sich anscheinend herumgesprochen". Na klar, was ich bei nicht allzu intensiver Recherche im Internet finde, kennen die Reiseveranstalter bestimmt auch alle. In der Nähe der Karlsbrücke stiegen wir aus, und alle Japaner natürlich auch. Einer davon fiel uns besonders auf, denn er filmte sich unterwegs ununterbrochen mit einem Smartphone am Selfie-Stick ("Deppenzepter"), den er immer vor sich hin- und herschwenkte. Ein anderer hatte anscheinend nichts Besseres zu tun, als sämtliche Schaufensterauslagen (hier waren hauptsächlich Souvenirgeschäfte) abzufotografieren.
Die Karlsbrücke war natürlich auch voller Menschen. Es gibt ja Software, die aus einem Dutzend Fotos mit identischem Bildausschnitt alle beweglichen Objekte (Menschen, fahrende Autos etc.) herausrechnet, sowas würde ich gerne auch mal ausprobieren, aber dazu hätte ich ein Stativ gebraucht, das ich aber natürlich zuhause gelassen hatte. Und wichtiger war natürlich der Blick auf Fluss und Stadt, der sich uns vom Brückengeländer aus auch ungehindert darbot.
Drüben gingen wir eine Weile kreuz und quer durch die Altstadt und kamen, nachdem wir zunächst die astronomische Uhr am alten Rathaus gebührend bewundert hatten, zum zentralen Platz, dem Altstädter Ring. Als erstes fiel uns auf, dass hier viele Leute mit Segways umherfuhren. Wie sich zeigte, konnte man die Dinger in mehreren umliegenden Geschäften mieten. Dann machte hier auf dem Platz eine Gruppe mittelalterlich gekleideter Männer ganz fetzige Musik, auch ein Dudelsackspieler war dabei. An einer anderen Ecke konnte man Rundfahrten mit einem Fiaker beginnen. Ulrike als ehemaliger Reiterin fiel sofort auf, dass die Pferde hier etwas trugen, was sie spontan "Windel" nannte: Beutel, in welche die Pferdeäppel fallen konnten, ohne auf der Straße zu landen. Natürlich bewunderten wir die umliegenden Bauten, und ebenso natürlich wollte Ulrike die beiden Kirchen hier auch von innen betrachten.
Die erste davon, St. Nikolaus, wirkte auf uns sehr überladen mit Gold und Zierrat, und Ulrike warf die Frage auf, wie man das denn früher dem einfachen Volk wohl vermittelt hat. Nicht zu vermitteln war ihr jedenfalls der Umstand, dass wir Besucher um Eintritt gebeten wurden, wollten wir den Bereich direkt an der Tür verlassen und weiter hineingehen. Sie sagte, sie zahle genug Kirchensteuer, und "in meine Kirche darf jeder hineinkommen, ohne dafür bezahlen zu müssen". Gebeten wurde auch darum, nicht zu fotografieren, auf einer Unmenge Schildern mit durchgestrichener Kamera, und die Leute kümmerten sich überhaupt nicht darum. Der überwiegende Teil der Besucher würde wohl hinterher diese Schilder mit Gimp/Photoshop aus seinen Bildern herausretuschieren müssen. Die zweite Kirche, die Teynkirche, war von außen nur an ihrem Turm zu erkennen, und um hineinzukommen, mussten wir erst durch eine Art kleine Ladenpassage gehen. Sie war weit weniger prunkvoll, aber der Innenraum war vollständig von einem Baugerüst ausgefüllt, so dass wir ihre schlichte Schönheit eher ahnen als sehen konnten.
Nun wollten wir uns die Stadt auch einmal von oben angucken. Dazu mussten wir wieder ein Stück Straßenbahn fahren, was aber ganz und gar nicht schlimm war. Ich fahre immer gerne damit, besonders gerne mit so alten Wagen, wie sie hier noch oft unterwegs waren. An der Talstation der Petřín-Standseilbahn gab es eine ziemlich lange Schlange vor dem Kartenschalter. Diese wurde auch immer nur so weit abgearbeitet, wie Passagiere in den Wagen passten, danach war wieder Pause. Immerhin stellte sich heraus, dass unsere Fahrkarten auch hier galten, wir also nichts extra zahlen mussten. Wir stiegen in einen schräg gebauten Wagen, in dem die Sitzbänke wie in einem Universitätshörsaal angeordnet waren und der über ein Seil an dem anderen Wagen, der gerade in der Bergstation stand, hing. Dieses Seil wurde dann einfach durchgezogen (wir konnten nachher durch ein schlecht geputztes Fenster einen Blick in den Maschinenraum werfen) und auf diese Weise beide Wagen gleichzeitig bewegt. Die eingleisige Strecke hatte in der Mitte zwei Weichen, zwischen denen ein kurzes zweigleisiges Stück lag, auf dem sich die beiden Wagen begegnen konnten. Kurz oberhalb dieser Ausweichstation gab es noch eine Haltestelle. Da die beiden Wagen ja per Seil miteinander verbunden waren, bedeutete dies, dass der jeweils andere Wagen auf freier Strecke solange warten musste.
Oben gab es einige nette Gärten zum Spazierengehen und einen Aussichtsturm, welcher dem Eiffelturm in Paris nachempfunden war, allerdings nicht ganz so groß. Hier galten unsere Fahrkarten selbstverständlich nicht mehr, sondern wir mussten pro Person 120 CZK zahlen. Dazu kamen noch 65 CZK für den Fahrstuhl. Man hätte zwar auch Treppen steigen können, aber Ulrike bestand auf dieser Mehrausgabe, und ich habe mich dann bereit erklärt, ihr in selbstloser Weise bei der Fahrt Gesellschaft zu leisten. Von hier oben hatte man eine phantastische Sicht auf die Stadt, und für gestochen scharfe Fotos ließen sich sogar die Fenster öffnen.
Die Straßenbahnlinie 22 war sehr praktisch, denn sie führte uns anschließend gleich zu unserem nächsten Ziel, der Burg mit dem Regierungssitz. Gleich bei der Haltestelle "Pražský hrad" ("Prager Burg") lag zunächst noch ein schöner Königlicher Garten (als ob wir oben auf dem Petřín nicht schon genug gelustwandelt wären). In diesem Park fanden wir auch ein sehr bemerkenswertes Gebäude, dessen Mauern sehr schön von oben bis unten mit interessanten Motiven verziert waren. Uns schien das eine alte Universität gewesen zu sein, denn wir sind sahen hier Themen wie Rechenkunst, Geometrie, Astronomie und Musik, es handelte sich aber nur um ein "Maison du jeu de paume", also gewissermaßen einen Vorläufer einer Tennishalle. Oben in der Burg mussten wir natürlich einen Blick in den Veitsdom werfen, bevor wir wieder einmal eine nette Aussicht auf die Stadt genießen konnten. Etwas komisch, weil unzeitgemäß wirkten die beiden Wachsoldaten am Tor der Burg. Diese Standen in einer recht bunten Galauniform in kleinen Postenhäuschen neben der Zufahrt und hatten Waffen, die so aussahen wie Spielzeuggewehre, mit verchromten Bajonetten, die nicht den Eindruck erweckten, als könne man mit ihnen mehr Schaden zufügen als mit den Schwertern, die ich als Junge aus Holz geschnitzt hatte.
Als wir schließlich an unserer "Heimat"haltestelle "Brevnovský klášter" (da war ein Benediktinerkloster) ausstiegen und die Straße überquerten, ging drüben gerade eine Familie, die für einen Besuch bei einem Mittelaltermarkt verkleidet war. Als wir bei ihnen ankamen, sagte der Mann etwas auf Tschechisch zu uns, das ganz offensichtlich ein Scherz sein sollte. Ulrike sagte "sorry?", und ich "Nemluvím česky" ("ich spreche kein Tschechisch"). Jetzt lachte er, sagte "dobre" ("gut") und klopfte mir auf die Schulter, war aber wohl nicht in der Lage, seine Bemerkung so spontan auf Englisch zu wiederholen. Ulrike meinte, wenigstens sähen wir offenbar nicht gleich auf den ersten Blick wie Touristen aus, und ich finde, für solche freundlichen Begegnungen lohnt es sich schon, vor einer Reise wenigstens ein ganz paar Brocken der Landessprache zu lernen, und sei es auch nur mit [3].
Nach der ganzen Lauferei heute schmeckte uns dann das Bier, und der Schweinebraten auch. Mit den plattgelaufenen Füßen lockte dann auch bald das Bett. Allerdings musste ich feststellen, dass zur Erholung erst noch ein Hindernis zu überwinden war. Denn im Zimmer nebenan telefonierte eine Frau erstens sehr lautstark (in deutscher Sprache, mit etwas Aufmerksamkeit hätte ich ihren Worten durchaus folgen können) und zweitens sehr ausdauernd. Das hatte sie gestern übrigens auch schon getan, nur da war ich noch eine ganze Weile mit Reisetagebuchschreiben beschäftigt, da hatte mich das nicht gestört. Aber heute lag ich im Dunklen wach, und das Gespräch drüben ging mir auf die Nerven, zumal die Dame den Löwenanteil davon selbst bestritt, es waren kaum Pausen zwischen ihren Sätzen. Irgendwann hielt es mich nicht mehr länger, ich zog mich wieder an, ging rüber und habe sie einigermaßen energisch gebeten, ihre Gespräche so zu führen, dass ich dabei würde schlafen können (und sie bei der Gelegenheit auch noch darauf hingewiesen, dass sie ihren Schlüssel außen hatte stecken lassen). Das half jedoch nicht viel, sie wurde danach nur geringfügig leiser. So kam es, dass ich seit langem mal wieder an meinen vor 25 Jahren verstorbenen Vater dachte, seines Zeichens Elektroniker und gelernter Radio- und Fernsehtechniker, der hätte nämlich jetzt gewusst, wie man einen Mobilfunk-Störsender baut (allerdings wohl auch nicht die nötigen Zutaten zur Hand gehabt). Aber als ich drauf und dran war, ein zweites Mal nebenan zu klopfen, begab sie sich in eine andere Ecke ihres Zimmers, ihre Stimme wurde jetzt deutlich leiser und ich konnte endlich einschlafen.
Tagesstrecke 0 km
Als wir gerade hinunter zum Frühstück gehen wollten, kam die Telefondame von gestern Abend heraus, entschuldigte sich wortreich und drückte Ulrike eine Flasche Hugo in die Hand. Sie sagte, erst als sie zu Ende telefoniert hatte und dann der Nachbar auf der anderen Seite so laut geschnarcht habe, dass sie selbst zunächst nicht habe einschlafen können, sei ihr klargeworden, wie hellhörig das Haus hier sei. Ulrike meinte später, es könne auch sein, dass ich es gewesen bin, der da geschnarcht hatte. Wie auch immer, sie hat eingesehen, dass das nicht so gut war, dann kann ich das auch verzeihen. Beim Frühstücken haben wir uns dann auch noch richtig nett mit ihr unterhalten.
Der Plan für heute sah vor, in beinahe nördlicher Richtung an die Elbe zu fahren, dieser dann bis fast nach Deutschland zu folgen und dann parallel zur Grenze auf tschechischer Seite in die Gegend zu fahren, wo Ulrike unsere nächste Unterkunft gebucht hat. Der Beginn seiner Umsetzung ließ sich erstaunlich gut an, doch es ist sicher einfacher, eine große Stadt in definierter Richtung zu verlassen, als hineinzufahren und einen bestimmten Punkt darin zu treffen. In Kralupy habe ich mich dann aber etwas verfranzt, jedoch die richtige Richtung bald wieder gefunden. Kurzzeitig sah es noch einmal nach Schwierigkeiten aus, als in Litoměřice die alte Elbbrücke gesperrt war, denn ich wollte ab hier die kleineren Straßen am Ostufer fahren, aber es gab nach kurzer Strecke noch eine Umgehungsstraße, auf der wir hinübergelangen konnten.
Und die Wahl der Route erwies sich als goldrichtig: Dass die Landschaft ab hier mit der Zeit immer schöner wurde, galt sicher für beide Seiten, aber auf dieser unwichtigeren Uferseite war auf alle Fälle hinreichend wenig Verkehr, damit wir das ganze auch schön genießen konnten. Allerdings war es heute längst nicht mehr so warm wie die vergangenen Tage, und beim Tanken in Děčín holten wir beide die Pullover heraus. Und inzwischen war auch ich sogar soweit, meine Heizgriffe einzuschalten, musste dabei aber feststellen, dass das Plastik des Schaltergehäuses spröde geworden und gebrochen war, der Schalter hing nicht mehr fest am Lenker. Das finde ich ärgerlich, die Heizung funktionierte zwar noch, aber trotzdem werde ich mal wieder basteln müssen, und so alt war das Teil doch auch noch gar nicht.
Nachdem wir hinter Libouchec die Hauptstraße verlassen und uns in die Berge geschlagen hatte, wurde die Gegend wieder richtig schön. Insbesondere zwischen Adolfov und Cinovec würde ich die Landschaft zwar fast als Hochebene bezeichnen wollen mit vielen Wiesen und weitem Blick, Ulrike meinte dazu: "Der Böhmerwald könnte hier etwas mehr Holz vertragen", aber nachher tauchten wir doch wieder richtig ein in den dunklen Tann.
Dabei waren wir jedoch nicht so alleine, wie wir uns das gewünscht hätten. Hier merkte man doch deutlich, dass auf der anderen Seite der Grenze Feiertag war. Uns kamen öfters Autos mit deutschen Kennzeichen entgegen und auch wieder viele Motorradfahrer, und es waren etliche Gruppen Wanderer und Fahrradfahrer unterwegs. Wir mussten sogar ganz vorsichtig mehrere Gesellschaften in Pferdefuhrwerken passieren, die von Tieren von inzwischen selten gewordenen Arbeitspferderassen (O-Ton Ulrike: "Mit Frisur auch an den Beinen") gezogen wurden. Angehörige einer anderen und zumindest hier noch selteneren Tierrasse fanden wir ein paar Dörfer weiter: Fünf Lamas weideten auf dem Rasen und liefen auch ganz frei und unbekümmert über die Kreuzung.
In Zinnwald gelangten wir versehentlich auf die deutsche Seite, und prompt sahen wir dort eine Gruppe Typen, die eine schwarz-weiß-rote Fahne schwenkte und Böller zündete. Man hört ja oft, dass im Osten die Skinheads sich am Vatertag, den sie ja dort "Herrentag" nennen, sich auch wie Herrenmenschen benehmen, aber so deutlich habe ich das bisher noch nicht gesehen.
Zu Anfang hatte ich mir etwas Sorgen gemacht, weil unsere Karte (die aber ja total veraltet war, sagte ich das schon?) ab hier ganz lange keinen Grenzübergang mehr darstellte. Aber gleich hinter Český Jiřetín fanden wir schon wieder unvermittelt ein gelbes Ortseingangsschild vor uns auftauchen. Also wieder ein Stück zurück. Als dann bei Mnisek die Vorfahrtstraße schon wieder über die Grenze führte, ließ ich es dann gut sein. Etwas Zeit hatten wir noch, darum ging es einen kleinen Kringel auf deutscher Seite (die mir hier aber nicht so gut gefiel wie die andere) wieder zurück, bis wir in Sayda-Friedebach mit dem Waldhotel Kreuztanne unser heutiges Ziel erreichten.
Als wir vor dem Abendessen noch einmal kurz vor die Tür traten (bei unserer Ankunft war im Garten Hochbetrieb, inzwischen schien Kälte und/oder Appetit alle nach drinnen vertrieben zu haben), wurde direkt vor der Eingangstür ein Van mit der Aufschrift "De Hutzenbossen" und dem Zusatz "Erzgebirgische Folklore" entladen. Wir hielten den zwei Männern die Türen auf, hauptsächlich in der Absicht, zu sehen, wohin sie die Instrumente trugen. Denn auf der einen Seite gab es ein Büffet, auf der anderen das Restaurant. Die Musikanten gingen nach rechts, wir ins Restaurant, und als wir fertig waren, hörten wir sie drüben spielen. Manchmal muss man eben auch mal Glück haben.
Tagesstrecke 265 km, km 35135
Die Tagestour für heute hatte Ulrike irgendwo aus dem Internet als "Talsperren-Tour" heruntergeladen und dann befunden, dass sie vielleicht noch etwas kurz geraten war, und sie dann hier und da um noch ein paar Abstecher erweitert. Schade vielleicht, dass es ihr dabei offenbar gelungen war, fast alle Talsperren aus der Route herauszu"optimieren". Auf der anderen Seite: So schön so ein Stausee auch aussehen mag (wenn er denn komplett gefüllt ist, sonst gelingt das sowieso nicht), für mich als auch-Kajakfahrer sind alle Flussverbauungen ja irgendwie immer Teufelswerk.
So stand die Runde heute wieder in den Zeichen der Farben grün und gelb. Wald gab es hier weniger, als ich mir das vorgestellt hatte, dafür jede Menge mit gelben Löwenzahnblüten gesprenkelte Wiesen und auch wieder viele Rapsfelder. Und der Genuss einer schönen Tour bei bestem Wetter wurde vermutlich durch die vielen Umleitungen, mit denen wir auch heute wieder konfrontiert wurden, noch etwas verlängert.
Irgendwann war es natürlich auch mal an der Zeit, eine kleine Pause zu machen, dazu suchte sich Ulrike eine Bushaltestelle in einem nicht ganz so kleinen Dorf aus. Als wir dort ein paar Schritte hin- und hergingen, fiel uns auf, dass diese Haltestelle hier mit "Oberschöna, Einkaufszentrum" bezeichnet war. Die einzige Einkaufsmöglichkeit, die wir hier sahen, war jedoch nur ein Gebäude, das seiner Werbung nach eine Lotto-Annahmestelle beherbergte, es wurden auch gerade ein paar Bierkisten hineingetragen, so mochte dort wohl auch noch ein Tante-Emma-Laden drin gewesen sein, aber mehr sah die Größe des Hauses einfach nicht vor. Kann ja sein, dass dieser Laden zentral im Ort lag und somit rein formal das Recht auf diese Bezeichnung hatte, aber wir Großstädter waren da doch etwas amüsiert.
Und bei unserer nächsten Pause sah ich mich gezwungen, meinen Heizgriffschalter, der inzwischen ganz vom Lenker abgefallen war, provisorisch mit Klebeband zu sichern. Am Ende kurz vor dem Ziel bekamen wir dann doch noch eine Talsperre zu sehen, aber nur von unten, mit Blick auf den Beton der Staumauer. Zum Ausgleich gab es gleich im nächsten Ort den ersten Eisbecher dieser Saison.
Zurück bei unserer Unterkunft traf unmittelbar nach uns mit lautem Gehupe eine Hochzeitsgesellschaft ein. Das hatten sie hier schon geschickt gemacht: Das Hotel verfügte über einen "Eheschließungsraum" des örtlichen Standesamtes und bot sodann mit großzügigen Räumlichkeiten für Feiern sowie Unterkünften für auswärtige Gäste das Rundum-Sorglos-Paket für derartige Veranstaltungen. Da ich vorhin im letzten Ort einen Friseur gesehen und spontan beschlossen hatte, dass es bei mir wieder Zeit für einen Besuch desselben war, gab ich Ulrike die Zimmerschlüssel, schwang mich wieder auf die Tenni und fuhr noch einmal zurück. Unterwegs an einer Ausweichstelle stand das Brautpaar neben einem amerikanischen Riesen-Cabrio und wartete offenbar, bis ihre Gäste alle ausgestiegen und sich am Eingang versammelt hatten, um dann standesgemäß vorfahren zu können. Wir winkten uns zu, sie sahen beide sehr glücklich aus, und so soll es ja auch sein. Später beim Abendspaziergang kamen wir an eine Stelle, wo andere Brautpaare anlässlich ihrer Hochzeit Tannen gepflanzt hatten, jede gekennzeichnet mit einem Schild mit zwei verschlungenen Ringen, beiden Vornamen und dem Datum. Nette Sache, aber was ist, wenn, wie in einem Fall gesehen, das Bäumchen krank wird und braun zu werden beginnt? Und Ulrike meinte: "Wenn die Ehe irgendwann geschieden wird, darf man dann die Tanne als Weihnachtsbaum verwenden?"
Tagesstrecke 215 km, km 35350
Im Frühstücksraum war es heute proppevoll, das ganze Haus schien voll belegt zu sein, mit der Hochzeitsgesellschaft kein Wunder. Und unsere Bedienung von gestern Abend war auch heute früh wieder hier. Sie sagte, sie habe 5 Stunden geschlafen, und über meine Frage, ob das denn zulässig wäre, ist sie diskret hinweggegangen. In solchen Momenten fühlt man sich doch etwas unwohl, denn auch wenn ich aus dem Westen stamme, möchte ich doch nicht, dass meinetwegen das Personal ausgebeutet wird. Und der Hochzeitsgesellschaft kann man die Schuld nicht geben, denn wir waren ja genauso da wie sie.
So langsam galt es, wieder die Rückfahrt anzutreten. Das allerdings auf zwei Tage gestreckt: Zuerst wollten wir noch ein Stück weiter nach Osten, um auch auf das Elbsandsteingebirge noch einen Blick zu werfen, und dann der Elbe folgen bis nach Hause. Und das war noch einmal richtig schön. Ulrike führte uns zunächst noch einmal zu ein paar der Highlights von gestern, bevor wir unbekanntes Terrain erreichten, was mir aber nicht minder gut gefiel. Und der Wechsel zwischen Erz- und Elbsandsteingebirge schien mir übergangslos.
Bei Pirna überquerten wir die Elbe auf einer Brücke und fuhren dann ein schönes, aber auch touristisch bevölkertes Tal aufwärts auf einer nicht sehr breiten Straße, auf deren rechter Seite eine Spur Straßenbahnschienen verlegt war. Das war nun nicht so angenehm, denn mit dem Motorrad fährt man nur ungern auf solchen Längsrillen. Aber damit nicht genug: Gerade, als ich mich fragte, was denn wäre, wenn mir (Ulrike war ein Stück voraus, weil ich für ein Foto kurz angehalten hatte) hier auf meiner Seite mal eine solche Straßenbahn entgegenkommt (ich hatte immer mal wieder Ausweichstellen gesehen, die Strecke wurde offensichtlich in beide Richtungen befahren), geschah genau dies. Passenderweise natürlich auch noch in einem Moment, in dem richtig Verkehr herrschte, die Bahn wurde gerade von mehreren PKW rechts überholt, so dass mir auf zwei Spuren Fahrzeuge entgegenkamen. Zu allem Überfluss fing der Macker im Führerstand der Bahn jetzt auch noch an, zu klingeln, was ich in der Sekunde als eine ziemliche Frechheit empfand. Da hätte ich nicht übel Lust gehabt, einfach anzuhalten und erstmal den Gegenverkehr vorbeizulassen, aber ich quetschte mich schließlich irgendwie dazwischen, zum Glück war die Straße dafür gerade breit genug. Bei dieser suboptimal geplanten Anlage handelte es sich übrigens um die Kirnitzschtalbahn.
Nach ein paar Kringeln dort in den Bergen machten wir Kekspause an einer Bushaltestelle neben einem Gebäude, über deren Eingangstür der Text "Wissen ist Macht" stand, und direkt davor stand eine Stelltafel mit Werbung für die Bildzeitung. Auf den ersten Blick ein krasser Gegensatz, beim zweiten Gedanken aber absolut passend, denn wer dafür sorgt, dass das Volk nicht weiß, hat auch Macht.
Hier begann nun der zügige Teil der Rückfahrt, der über große Straßen gehen sollte. Dazu übernahm ich jetzt die Führung, und das Navi wurde ausgeschaltet, da der Akku nicht bis zum Abend halten würde, und unsere Stromversorgungsteile haben alle beide schon seit einer ganzen Weile den Geist aufgegeben. Mein Plan war eigentlich, bis Dresden-Zentrum auf dem rechten Elbufer zu bleiben, aber in Dresden-Löschwitz bog die Straße unvermittelt links ab, ohne dass ich das rechtzeitig erkennen konnte. So querten wir die Elbe auf der "Blaues Wunder" genannten Brücke und fuhren auf der anderen Seite weiter. Das war letztlich auch nicht schlecht, denn von hier aus hatten wir einen prima Blick über den Fluss hinweg auf die schönen Schlösser drüben. Auch die Fahrt durch das Zentrum von Dresden war sehr schön, nur war hier die Uferpromenade so sehr voller Touristen, dass ich immer mindestens ein Auge darauf haben musste, aufzupassen, dass nicht doch mal einer davon auf die Straße hüpfte. Auch in Meißen ging es am Ufer entlang, und wir hatten einen schönen Blick auf die Burg. Erst bei Zehren verließ die Straße die Elbe, und nun wurde die Landschaft gewöhnlich.
Hinter Wurzen mussten wir abbiegen und auch gleich anhalten, um die Regensachen anzuziehen, denn nun wurde es feucht. Diese Feuchtigkeit entwickelte sich im weiteren Verlauf zu einem richtigen Landregen, nicht stark, aber schön gleichmäßig und ausdauernd. Aber pünktlich zur Ankunft in Wittenberg hörte der Regen wieder auf, und wir konnten vor dem Hotel "Kajüte 7" trocken abladen. Da es inzwischen mit nach 1800 Uhr zu spät für irgendwelche Besichtigungen war, begnügten wir uns damit, zum Abendessen den Italiener gegenüber aufzusuchen und danach noch einen Gang "um den Block" zu machen.
Tagesstrecke 366 km, km 35716
Passend zum maritimen Charakter unseres Hotels (unten hingen Fischernetze an den Wänden, und man konnte Jever vom Fass bekommen) hatte ich mich heute Morgen gefühlt, als ob ich die Nacht in einer Hängematte verbracht hätte, obwohl das Bett durchaus einen Holzrahmen hatte, jedoch kein Lattenrost, das diesen Namen verdient. Und der Ventilator im Bad machte solch einen Lärm, dass ich, eine Stunde vor dem Weckerklingeln wach geworden, nicht sofort unter die Dusche hüpfen mochte. Aber diese Unterkunft war eben auch eine andere Preiskategorie als das Waldhotel vorher mit Saunalandschaft und so weiter.
Unten im Frühstücksraum lief Radio, und der Wetterbericht versprach einen trockenen Tag, allenfalls in der Magdeburger Börde könne es mal ein paar Regentropfen geben. Ok, genau da wollten wir jetzt längs. Zuerst blieb es aber wie versprochen trocken, wenn auch kalt und weitgehend unspektakulär. Hauptsächlich in Erinnerung bleiben wird mir von dieser Fahrt wohl nur ein Stück vor Gardelegen, wo es sehr schön durch den Wald ging, nicht auf der B71, sondern westlich davon.
Und vor Salzwedel mussten wir schließlich doch noch die Regensachen herausholen, und damit schloss sich dann zur Ankunft zuhause der Kreis nicht nur örtlich, sondern auch mit den klimatischen Bedingungen bei unserer Abfahrt vor 9 Tagen.
Tagesstrecke 330 km, km 36046
Gesamtstrecke 2309 km
[1] Deutsche Straßenkarte und Reiseführer: Sachsen, südl. Mark Brandenburg, 1:250.000, Edition 1991, ISBN 3-87660-207-6
[2] Shell Eurokarte Deutschland, 1:750.000, ISBN 3-87504-574-2
[3] Die 30 wichtigsten Wörter Tschechisch: www.weltreisewortschatz.de/tschechisch
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