Angefangen hatte damals alles mit diesem Auto; Der Schweißer in meiner Firma hatte sich einen Resthof gekauft, und in der Scheune fand er den Wagen, halb unter Stroh und Heu versteckt und total heruntergekommen. Es war ein Mercedes 200 D Universal, eines von den alten Heckflossen-Schiffen. Die Wagen vom Typ Universal wurden um das Jahr 1968 herum von einer kleinen Firma zum Kombi umgebaut, davon gab es insgesamt nur etwa 200 Stück, es war klar, daß ich den Wagen haben mußte, und mein Kollege war auch durchaus bereit, ihn mir zu einem anständigem Preis zu verkaufen.
In dem Wagen hatte man eine Unmenge Platz, und wenn man die hintere Sitzbank umklappte, konnte man zu zweit lang ausgestreckt drin liegen, das Auto war also genau richtig für Urlaubsfahrten mit viel Gepäck.
Als ich damit Zuhause vorfuhr, war mein Vater wider Erwarten richtiggehend entsetzt. Meine Mutter erzählte früher, daß er damals, als sie sich kennenlernten, einmal ganz wild hinter gerade so einem Wagen her war, aber jetzt riet er mir dringend von meinem Vorhaben ab. Natürlich ist die Restaurierung eines solchen Oldtimers keine ganz leichte Sache, aber es war nicht so, daß ich es nicht schaffen könnte, und jetzt, wo ich gerade ausgelernt hatte, verdiente ich auch genug Geld. Mein Vater aber schien ständig neue Gegenargumente geradezu zu suchen, die zudem mit fortschreitendem Erfolg der Arbeiten immer lächerlicher klangen. Mit der Zeit kam ich zu der Überzeugung, er wäre nur neidisch, und ließ mich nicht weiter beirren.
Ich hatte schließlich auch genug anderes zu tun, denn bei der Restaurierung merkte ich erst, in welch schlechtem Zustand der Wagen war. Ich mußte eine Unmenge Plastikteile ersetzen, das Zeug war so sehr gealtert, als wäre das Auto mindestens doppelt so alt gewesen. Dazu kamen die üblichen Blecharbeiten, dann bekam der Wagen eine neue Lackierung, und am Schluß mußten neue Papiere besorgt werden, die alten waren natürlich nicht mehr vorhanden gewesen.
Fast mein gesamter Sommerurlaub ging für diese Arbeiten drauf, am Ende konnte ich gerade noch eine Woche mit meiner Freundin losfahren und den Wagen ausprobieren.
Als wir wiederkamen, mußte ich erfahren, daß mein Vater inzwischen bei einem Unfall gestorben war.
Auf dem Wege nach Rotenburg zum Amtsgericht passierte es: Es war zwar ziemlich diesiges Wetter, aber der Nebel kam doch überraschend. Urplötzlich war ich mittendrin in der Suppe, und als ich aus der Nebelwand wieder herauskam, stand da ein Wagen mitten im Wald halb auf der Straße. Zum Bremsen reichte es nicht mehr ganz, ich konnte zwar noch nach links ausweichen, setzte dafür aber dann leicht gegen einen Baum. Der Fahrer des anderen Wagens kam erschrocken aus dem Gebüsch gesprungen, und gemeinsam betrachteten wir den Schaden.
Ich hätte heulen mögen, genau an der Stelle hatte das Auto vorher wohl schon einmal einen Unfall gehabt, das Ausbeulen hatte mich zwei Tage gekostet, und nach der Stoßstange hatte ich mir die Hacken abgelaufen und mußte schließlich froh sein, überhaupt eine zu bekommen. Und dann meinte der Kerl doch, ich sollte mich nicht so anstellen, die Stoßstange sei doch sowieso schon ganz schön angerostet, und eine neue würde dem Auto bestimmt gut tun! Dieser Schnösel fuhr nämlich auch einen Oldtimer, einen alten DKW, noch mit dem alten Kennzeichen ROH, das im Zuge der Gebietsreform 1970 durch ROW ersetzt wurde. Sein Wagen war zugegebenerweise in einem ausgezeichnetem Zustand, aber auf diese Art brauchte der Typ mir doch nicht auf die Nase zu binden, daß er anscheinend keine Probleme mit der Ersatzteilbeschaffung hat!
Schließlich trollte er sich, und ich konnte ja auch nicht ewig dort stehenbleiben und jammern. Der Nebel war inzwischen gleichmäßiger geworden, man mußte zwar nicht allzu langsam fahren, aber es war doch unangenehm, und ich wollte möglichst schnell wieder nach Hause.
Ich war die Strecke nach Rotenburg schon lange nicht mehr gefahren, sie kam mir in dem Nebel irgendwie ungewohnt vor, ich hatte die Straße breiter in Erinnerung. Aber als ich dann in Rotenburg ankam, traf mich der Schlag: Die Ortsumgehungsstraße war weg! Die Straße führte wie vor zehn Jahren schnurstracks in den Ort hinein. Da war auch die alte Tankstelle wieder, wenn auch ohne die Waschanlage, die Werbung auf dem Plakat hatte einen ganz komischen Stil, an solche Art Reklame konnte ich mich nur ganz dunkel aus frühester Kindheit erinnern.
Ich ging rein und kaufte eine Zeitung, sie trug das Datum vom 10.9.1969!
Jetzt erfaßte mich echte Panik. Ich warf mich hinters Steuer und raste zurück zur Unfallstelle, fuhr dort immer wieder die selbe Strecke hin und her in der Hoffnung, so irgendwie wieder zurück zu kommen, aber es tat sich nichts.
Schließlich mußte ich mal pinkeln. Ich bog dazu in einen Waldweg ein und stellte mich zwischen die Bäume. Gerade war ich fertig, da hörte ich eine Autotür, und dann fuhr jemand mit meinem Wagen weg! Ich hätte mich ohrfeigen können, die Schlüssel einfach steckenzulassen. Nun stand hier ein rostiges Fahrrad mit einem platten Reifen, und ich hatte keine Möglichkeit mehr, je wieder nach Hause zu kommen.
Die folgende Nacht dort draußen im Wald war die schlimmste meines Lebens.
Am anderen Morgen war ich wieder soweit, daß ich mir Gedanken machen konnte, wie es denn nun weitergehen sollte. Zur Polizei konnte ich nicht gehen, mein Autokennzeichen gab es damals in ganz Deutschland nicht, und meine Papiere durfte ich denen schon gar nicht zeigen, ich war ja noch gar nicht geboren.
Dabei fiel mir ein, daß mein Vater erzählt hatte, daß das Haus, in dem er bis August 1968 gewohnt hatte, abgebrannt war und er daraufhin aufs Dorf gezogen war. Es gab also die Möglichkeit, mich als mein Vater auszugeben und zu behaupten, ich hätte meine Ausweispapiere bei dem Brand verloren. Das war zwar riskant, konnte aber gelingen, der Name Brüggemann ist sehr häufig in unserer Gegend, ich durfte allerdings nicht gerade meinem Vater dabei begegnen. Geld hatte ich glücklicherweise für's erste genug, da ich eigentlich auch noch den Notar und den Tischler bezahlen wollte.
Und es klappte besser, als ich erwartet hatte. Ich bekam meinen Ausweis problemlos und nahm mir ein Zimmer in Scheeßel, wo ich nicht so leicht befürchten mußte, meinem Vater über den Weg zu laufen. Ich bekam dort sogar Arbeit, natürlich sollte ich eigentlich einen Ersatz für den verbrannten Gesellenbrief nachreichen, aber beim Maschinenmüller nahm man das schon damals nicht so genau, und so wurde es schließlich vergessen.
Mein Auto habe ich die ganze Zeit nicht mehr wiedergesehen, obwohl ich sogar ein paar Mal in der Scheune, in der mein Kollege ihn gefunden hatte, nachgesehen habe. Nach einem Jahr habe ich dann Sylvia kennengelernt, und sie hat mir schließlich, ohne es zu wissen, sehr geholfen, über die Geschichte hinwegzukommen. Wir heirateten, und bald war unser Sohn unterwegs. Und in meiner neuen Rolle als Familienvater habe ich die Sache dann wohl vollends verdrängt.
Vor knapp einem Monat nun kam mein Sohn plötzlich mit diesem Auto an, meinem Auto, er hatte es in genau der gleichen Scheune in Nartum entdeckt, dem Besitzer für einen Spottpreis abgekauft und wollte es restaurieren!
Mit allen Mitteln habe ich versucht, ihn davon abzubringen, aber ich kann ihm doch nicht erzählen, was mir damit passiert ist, das würde er mir ja nie glauben. Er hat die letzten Wochen bei seiner Freundin gewohnt und in der Werkstatt ihres Vaters an dem verfluchten Ding herumgewerkelt, und jetzt sind sie damit in Urlaub gefahren, und ich weiß nicht mehr, was ich noch tun soll.
Im Nachlaß von Heinrich Brüggemann, der am 7.9.1993 auf der Straße vor seinem Haus von einem betrunkenen Autofahrer tödlich angefahren wurde, wurde der vorliegende Text gefunden. Eine ganz und gar unglaubliche Geschichte, wäre da nicht die Tatsache, daß sein Sohn unmittelbar nach dem Tod seines Vaters von einer Autofahrt nicht wieder zurückkam und seither mitsamt seinem Wagen spurlos verschwunden ist.
10/1993
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