Vor ziemlich genau 15 Jahren habe ich für meinen damaligen Arbeitgeber an einem internationalen IT-Projekt teilgenommen. Das war verbunden mit häufigen Auslandsreisen, Leben im Hotel, dem vollen Programm eben.
Und dort erzählte einer der Kollegen, ein Däne, folgende Geschichte von einem anderen, ähnlichem Projekt:
Dort hatte man schon kurz nach dem Start bemerkt, dass man begann, im Zeitplan hinterherzuhinken, und beschlossen, das Team aufzustocken. Und auch lange, bevor das Wort "Fachkräftemangel" die Runde machte, war es nicht einfach, qualifizierte Mitarbeiter zu bekommen. Schließlich fand sich ein Personalvermittler, der gleich ein ganzes Team von Entwicklern mit passenden Skills zur Verfügung stellen konnte, allerdings stammten die Leute von einer weit entfernten und abgelegenen Südseeinsel. Aber die Portfolios passten, und zudem war die Truppe vergleichsweise billig zu haben, also wurde sie eingeflogen. Die Herren sahen mit ihren teilweise tätowierten Gesichtern zwar trotz europäischer Kleidung etwas ungewohnt aus, aber da man sowieso gerade wegen chronischem Platzmangel hinter dem Parkplatz noch eine Gruppe Container aufgestellt hatte, wurden sie darin untergebracht und der Teamlead der Leute vorsichtig angewiesen, dafür zu sorgen, dass sich seine Leute auch überwiegend in diesem Bereich aufhielten.
Und so ging das Projekt seinen Gang. Das Südseeteam fiel eigentlich gar nicht auf, und auch ihre Projektergebnisse waren nicht fehlerträchtiger als diejenigen anderer Teams. Alles war prima, bis nach einem halben Jahr eine Putzfrau vermisst wurde. Die Projektleitung zögerte sehr, aber schließlich wurde der Teamlead der Insulaner gebeten, im Anschluss eines Statusmeetings noch kurz dazubleiben, und unter vier Augen wurde er gefragt, ob es sein könne, dass irgend jemand aus seinem Team möglicherweise mit dem Verschwinden der Putzfrau irgendetwas zu tun haben könne.
Der Mann verwahrte sich entscheiden gegen jeden Verdacht, seine Leute seien doch zivilisiert, trügen Hemd und Krawatte, würden die Projektrichtlinien buchstabengetreu befolgen, nein, das wäre ausgeschlossen, und er wolle doch nicht hoffen, dass hier etwa haltlose Unterstellungen gegen sein Team ins Feld gebracht würden.
Der Projectmanager erwiderte, von einer Unterstellung könne überhaupt nicht die Rede sein, er sei lediglich angewiesen worden, der Sache nachzugehen und habe die Frage deswegen notgedrungen stellen müssen, aber da sie zu seiner Zufriedenheit beantwortet wurde, er vertraue schließlich auf das Wort seines Gegenübers, und das Team würde im Übrigen hervorragende Ergebnisse liefern, so sei die Sache hiermit erledigt.
Zurück in seinem Containerdorf rief der Teamlead seine Leute zusammen und stellte ihnen dieselbe Frage.
Die Mannschaft verwahrte sich entscheiden gegen jeden Verdacht, sie seien doch zivilisiert, trügen Hemd und Krawatte, können Java und UML (seinerzeit hochmoderne Technologien), würden die Projekt- und Teamrichtlinien buchstabengetreu befolgen, nein, das wäre ausgeschlossen, und sie wären empört, wenn hier etwa rassistische Unterstellungen gegen sie ins Feld gebracht würden. Der Teamlead meinte, nun ja, ihm habe man eben gerade diese Frage selbst gestellt, und er könne sich nicht vorstellen, dass dies so gänzlich ohne jeden Grund geschehen sein könne, und man möge doch noch einmal in sich gehen und überlegen, ob da nicht doch irgendein Zusammenhang bestehen könne. So ging das eine ganze Weile hin und her, bis schließlich einer der Datenbankarchitekten zögerlich einräumte, dass es eventuell doch sein könne, dass sich da jemand nicht ganz unter Kontrolle gehabt habe.
Dem Teamlead platzte der Kragen: "Verdammt nochmal! Was seid ihr doch für ein Haufen unbelehrbarer Idioten! Seit Monaten leben wir hier in Saus und Braus von Beratern und Consultants, das merkt kein Schwein, aber wie oft muss ich euch noch sagen: Lasst die Finger von denen, die Arbeit wegschaffen!"
Und es ist doch irgendwie merkwürdig, dass mir diese Story gerade jetzt wieder einfällt, nachdem mir vorhin beim Abendessen vorgeworfen wurde, wohl einen Clown gefrühstückt zu haben...
25.02.2015
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