Donaufahrt 2013

In diesem Jahr wollte ich mir einen langgehegten Wunsch erfüllen, nämlich einmal eine Etappe der Internationalen Donaufahrt (TID) mitzufahren. Dabei handelt es sich um eine Fahrt mit Paddelbooten, die seit fast 60 Jahren von der Internationalen Canoe Föderation (ICF) alljährlich organisiert wird und auf der Donau von Ingolstadt bis an das Schwarze Meer führt. Auf dieser Strecke wäre man dann etwa zweieinhalb Monate lang unterwegs, und weil viele Leute nicht solange Zeit haben, kann man auch (beliebige) Teilstrecken mitfahren. Ich hatte mir aus verschiedenen Gründen die Strecke von Wien bis Dunaújvaros (2 Tage hinter Budapest) ausgesucht, eine Fahrt von knapp zwei Wochen.

Und diese einigermaßen kurze Tour ist die am intensivsten vorbereitete Reise seit langem geworden. Zunächst muss man sich dafür bis Ende April anmelden. Aber schon im Februar wurde das alte Faltboot einer gründlichen Überprüfung und Überholung unterzogen. Denn ich wollte die An- und Abreise nicht mit einem Auto (das hätte ich ja bei meiner Ankunft am Ziel erst von weither nachholen müssen), sondern per Bahn bewerkstelligen. Da mussten natürlich auch rechtzeitig Züge gebucht und Fahrkarten gekauft werden. Für Ungarn hatte ich mir einen Sprachführer [3] besorgt, musste aber feststellen, dass diese Sprache so anders ist, dass die wenigen Regentage, an denen ich statt per Fahrrad mit der U-Bahn zur Arbeit fuhr und somit darin lesen konnte, nicht ausreichten, sich damit die Grundzüge davon anzueignen. Eine Woche vor Abfahrt begann sich der Esstisch mit Ausrüstungsteilen zu füllen, denn da ich das alles würde tragen müssen, wollte es wohl bedacht sein, was mitgenommen werden sollte und was nicht (auch wenn es sich natürlich trotzdem ergab, dass gewisse Dinge unbenutzt durch halb Europa transportiert wurden, und auch weitere Pannen wurden damit keineswegs verhindert).

So füllte sich langsam der Rucksack, und endlich war der Moment der Abreise gekommen.

Sa, 06.07.2013

Der Wecker klingelte um 500 Uhr, was deutlich früher war als an einem normalen Arbeitstag. Aber mein Zug fuhr um 628 Uhr ab Hamburg Hauptbahnhof, und da musste ich schon die U-Bahn um 548 Uhr nehmen, die nächste in 20 Minuten wäre knapp geworden. Aber es war ja schon alles gepackt, das Gepäck musste nur hinunter vor das Haus und zu einem kleinen Wägelchen zusammengeschnürt werden. Basis dessen war ein kleines faltbares Gestell mit zwei Rädern, der sogenannte Bootswagen. Das Faltboot selbst besteht in verpacktem Zustand aus dem Hautrucksack (darin eben die Faltboothaut und die Spanten) von 40 x 70 x 25 cm und der Stabtasche von 30 cm Durchmesser und 170 cm Höhe. Das beides wurde übereinander auf den Bootswagen, an den ich ein paar ausgediente Verzurrgurte genäht hatte, geschnallt, der Rucksack mit Zelt, Schlafsack und sonstigem Gepäck kam bestimmungsgemäß auf den Rücken, und los ging es.

Ich hatte ja die Riemen meines Rucksackes nicht als so dünn in Erinnerung. Nein, natürlich war das Laufen mit dieser Last erst einmal ungewohnt, aber bis zu meiner U-Bahnhaltestelle war es nicht sehr weit. Dort erhöhten sich die Schwierigkeiten, denn auf dem ersten Stück von der Straße bis zur Unterführung gab es an allen 4 Eingängen weder Fahrstuhl noch Rolltreppe. Aber die Räder des Wagens waren groß genug, dass ich das Paket Stufe für Stufe die Treppe hinunterlassen konnte. Die zweite Etappe auf den Bahnsteig ging dann per Fahrstuhl, und der Einstieg in die U-Bahn war rollstuhlgerecht. Am Hauptbahnhof ist auch alles barrierefrei eingerichtet, der Einfachheit halber nahm ich jedoch auf den Wegen aufwärts die Rolltreppen, die Fahrstühle liegen doch oft etwas abseits. Auf dem Bahnsteig wurde das Paket dann wieder auseinandergeschnürt. Jetzt wurde das spannend, denn es ist tatsächlich vor Jahren einmal vorgekommen, dass uns die Mitfahrt in einem (zugegeben sehr vollen) Zug aufgrund unseres umfangreichen Gepäcks (zu zweit mit Faltboot und Zeltausrüstung) verweigert wurde, unter anderem ein Grund, warum ich solche Aktionen alleine machen muss.

Mein Zug (der bis nach Wien durchfuhr) kam pünktlich, Tür auf, ich warf alle Packstücke hinein, stieg selber hinterher und musste dann gucken, wo das Zeug verstaut werden konnte. Es gab hier im Wagen eine Ecke neben der Tür, in der man ein Fahrrad senkrecht an einen Haken hängen konnte, aber es war auch eine Reisende mit Fahrrad da. Der half ich dabei, ihr Rad da hinzuhängen, daneben passte dann noch der Hautrucksack auf den Boden. Ansonsten gab es mehr als ausreichend Gepäckfächer über den Sitzen, die auch für die lange Stabtasche groß genug waren. Mein Sitzplatz war weiter in der Mitte, den Rucksack mit dem Restgepäck nahm ich dahin mit, und es konnte losgehen.

In Berlin war der Bahnsteig schwarz von Menschen, und eine Weile schien der Schnack vom "das Leben in vollen Zügen genießen" angemessen. Kurz vor Dresden konnte man vom Zug aus schon mal einen Blick auf die Elbe erhaschen, und in Dresden stiegen viele Leute wieder aus. Danach verläuft die Strecke im Elbtal, zum Glück saß ich auf der richtigen Seite (in Fahrtrichtung links) und hatte einen tollen Blick auf Fluss und Gebirge. Bald waren auch die Zugfahrgeräusche untermalt vom Kamerageklicke einer japanischen Reisegruppe, ab der Grenze nach Tschechien allerdings zusätzlich vermischt mit dem Gepiepe zahlreicher Roaming-SMS. Die schöne Landschaft setzte sich auch danach noch eine Weile fort. Ich war die Elbe im Jahr 2001 einmal von der Grenze bis nach Hause gepaddelt, jetzt dachte ich, dass man das a) mal wieder machen könnte und b) dann aber schon etwas weiter oberhalb anfangen sollte. Aber in Rondnice sah ich ein Wehr mit Schleuse, diese Einrichtungen sind dem Paddler doch immer etwas lästig.

Beim Halt in Prag regnete es draußen, aber das war bald wieder vorbei. Eine Weile später fiel mir eine Gruppe von rund einem Dutzend bunt gekleideter Menschen auf, die sich auf einem kleine Acker verteilt hatte und arbeitete. Gegen 1700 Uhr hielt der Zug auf freier Strecke für eine ganze Zeit lang an. Es gab zwar mehrere Lautsprecherdurchsagen, jedoch waren die inzwischen alle auf Tschechisch. Aber auch sonst hätten sie vielleicht nicht unbedingt weitergeholfen, denn schon die ganze bisherige Zugfahrt über brachen die Durchsagen immer nach ungefähr 15 Sekunden einfach ab (und das schien sich auch mit dem Wechsel der Sprache nicht geändert zu haben). Viele Fahrgäste fingen jetzt an zu telefonieren, um irgendwo bescheidzusagen, dass sie später kommen würden. Aber auf mich wartete ja niemand, und ob ich nun eine Stunde früher oder später ankommen würde, war eigentlich auch egal. Draußen ging jetzt ein junger Mann mit einem kleinen Rucksack am Zug entlang. Unmittelbar danach fuhren wir weiter. Wenn dieser Mensch nun zu den Fahrgästen gehörte, dann hat er es wohl kaum noch geschafft, rechtzeitig wieder einzusteigen. Aber wir standen hier in einem kleinen Ort, es kann auch sein, dass er nur die Bahnstrecke als Abkürzung genommen hat.

Die Stadt Brno erreichten wir mit einer Dreiviertelstunde Verspätung. Bei der Durchfahrt fiel mir eine schöne Kirche auf einem Hügel nahe dem Stadtzentrum auf, von wo aus man sicher auch einen netten Ausblick hat. Nach der Grenze ging ein österreichischer Zugbegleiter durch und erklärte, es sei "irgendwas mit der Lok" gewesen. Er setzte hinzu, die Verspätung "haben wir so übernommen", auf deutsch also: "Wir können nichts dafür, das waren die anderen." In Wien standen wir dann aber auch noch einmal 10 Minuten irgendwo.

Für Wien galt es, da der Zug weiter nach Villach fuhr, rechtzeitig alle Gepäckstücke zur Tür zu bringen, ich würde vermutlich nicht die Zeit haben, mehrmals drinnen hin- und herzulaufen damit.

Faltbootwagen und Rucksack in einer U-Bahnstation von Wien Der Ausstieg selbst ging dann aber nicht ganz reibungslos von statten, denn die beiden Faltbootsäcke im Wagen kippten um, als ich gerade den Campingrucksack auf den Bahnsteig legte. Und anstatt 15 Sekunden zu warten, bis ich die anderen beiden Gepäckstücke gegriffen und auf den Bahnsteig gezogen hatte, mussten die Leute nach mir unbedingt darüber hinwegsteigen, was wegen des Gekletters für sie auch nicht schneller gegangen ist. Mehrfache Versuche von mir, die Säcke aus dem Weg zu nehmen, wurden ignoriert und nicht zugelassen, nun, des Menschen Wille ist sein Himmelreich, ich hatte ja Zeit.

Hier war jetzt richtig Sommer, die Sonne schien, und obwohl schon nach 1900 Uhr, war es noch sehr warm. Da kam ich beim Gang von den Fernbahngleisen zur U-Bahn schon gut ins Schwitzen. Am Automaten bekam ich eine 42-Stunden-Karte für den Wiener Stadtverkehr, die 12,40 € kostete. Die U-Bahnstationen waren alle komplett mit Fahrstühlen ausgestattet, aber von meinem Ziel bis zum Do Step Inn, wo ich ein Zimmer gebucht hatte, musste ich ein ganzes Stück weit rollern. Dort angekommen, beklagte man sich auch hinter dem Rezeptionstresen über die Hitze: "In Hamburg, da wäre ich jetzt auch gerne!"

Zum Ausklang des Abends ging ich noch die nähere Umgebung erkunden. Und gar nicht weit entfernt gab es in der Märzstraße eine ganze Reihe Cafés und Restaurants, die wie offenbar das hier lebende Publikum auch, überwiegend orientalisch ausgerichtet waren. Da konnte ich den lauen Sommerabend noch bei einem kühlen Bier und einem türkischen Vorspeisenteller genießen, auch wenn es hier unten deutlich früher dunkel wurde als zuhause im hohen Norden.

So, 07.07.2013

In den Straßen von Wien Fahrkarte Wien Gestern hatte ich gesehen, dass es hier in Wien auch eine Art Stadtfahrrad gibt wie zuhause in Hamburg, wo man sich an verschiedenen Stellen Räder ausborgen kann. Da ich aber nun schon meine Fahrkarte für U- und Straßenbahn hatte, wollte ich dafür nicht noch zusätzlich Geld ausgeben. Heute Morgen merkte ich aber, dass ich meine Fahrkarte gestern noch hätte entwerten müssen, die Zeit lief nicht, wie ich automatisch angenommen hatte, gleich beim Kauf im Automaten los. Aber das konnte ich umgehend nachholen, und kontrolliert worden bin ich auf der ganzen Reise nur in den Fernzügen. Zuerst ging ich wieder in die Märzstraße zum Frühstücken. Bei dem schönen Wetter saß ich natürlich wieder draußen an der Straße. Hier führte eine Straßenbahnlinie entlang, und es gab zwei Generationen von Wagen: Bei den neuen war man sichtlich bestrebt, keine Lücken in der Wagenoberfläche zu haben, in denen sich bei Unfällen Fußgänger, Fahrrad- und Motorradfahrer verfangen und mitgerissen werden können. Die alten Bahnen hingegen hatten Stil, aber sicherheitstechnisch nur ein Schild mit einem stilisierten Männchen mit ausgebreiteten Armen zwischen die Waggons gespannt, damit niemand auf die Idee kommt, an der Ampel über die Deichsel klettern zu wollen. Ich persönlich mag alte Straßenbahnen sehr gerne, habe mich schon als Kind in Bremen stets gefreut, wenn ich mit den alten Rüttelkästen mit Holzsitzbänken fahren konnte. Da bin ich natürlich auch jetzt spontan in solch ein Fahrzeug mit Charakter eingestiegen in Richtung Zentrum.

Staatsbibliothek und Kulturhistorisches Museum Und das fand ich eine sehr schöne Methode, diese Stadt zu erkunden, denn im Gegensatz zu einer Fahrt mit der U-Bahn konnte man sich prima die schönen alten Fassaden der Häuser angucken. Und davon wurde mir hier wirklich viel geboten. Hin und wieder musste ich natürlich mal die Linie wechseln, oder ich ging mal ein Stück zu Fuß. Dabei kam ich auch an der Kirche Mariahilf vorbei, hier erklang Musik, es probte offenbar der Chor. Das Rathaus war komplett eingerüstet und bot so keinen besonderen Anblick. So wurde der erste Höhepunkt der Michaelerplatz mit seinen grandiosen Gebäuden. Die Spanische Hofreitschule wollte eine Menge Eintritt haben. In meinem Reiseführer [1] stand, man könne auch von einem Fenster im Hof aus hineingucken, aber das habe ich nicht gefunden. Aber in das Kulturhistorische Museum bin ich hineingegangen, denn dort gab es neben alten Rüstungen und Waffen (Hofjagd- und Rüstkammer) sowie alten Steinen (Ephesos Museum) eine sehr interessante Ausstellung alter Musikinstrumente. Dort war es also nicht nur angenehm kühl klimatisiert, sondern es wurden auch Instrumente gezeigt, die ich (der ich aber zugegebenermaßen keinerlei musikalische Vorbildung besitze) noch nie gesehen habe: Kleinigkeiten wie die Tanzmeistergeige (fast ohne Korpus) bis hin zu in Prunkschränke eingebaute Spinette. Die Präsentation war allerdings nicht ganz für so unwissende Leute wie mich gemacht, ich stand irgendwann vor einer Violine, auf deren Texttafel stand: "mit falschem Stainer Zettel". Mir erschloss sich nicht im Mindesten, welches Bauteil dieses Instrumentes denn jetzt "Zettel" genannt wurde und warum das aus dem Ort oder der Gegend von Stain denn jetzt falsch sein sollte. Die Auflösung kam ein paar Vitrinen später, als die Beschriftung lautete: "Violine von Jakob Stainer, 1618 - 1683". Der "Zettel" war also ein echtes Stück Papier, wie man es von Gitarren her kennt, aber bei einer Geige hatte ich halt noch nie durch das Schallloch geguckt.

Zurück draußen auf dem Platz überfielen mich Sonnenhitze und rege Geschäftigkeit, der allerdings das Getrappel zahlloser Fiaker ein ganz eigenes Gepräge gab. Nächster Höhepunkt war der Stephansdom, ein außen wie innen imposantes Bauwerk. Etwas irritierend fand ich allerdings, dass drinnen eine Messe gelesen wurde, touristische Besucher aber weiterhin zugelassen waren. Der hintere Teil war durch ein mannshohes Gitter abgetrennt, hinter dem wir Zaungäste uns aufhalten durften, während vorne die Veranstaltung unbeirrt weiterging. Die Kirche ist offenbar groß genug, dass man das vorne am Altar dann gar nicht mehr groß bemerkt.

Im Dom Etwas schwer zu finden war das Katzencafé Neko in der Blumenstockgasse. Davon hatte ich zufällig im Zuge der Vorbereitungen im Internet gelesen, und als alter Katzenfan musste ich da natürlich dann auch einmal hingehen. Hinter der Eingangstür befand sich, ähnlich wie ein klassischer Windfang gebaut, eine zweite Tür, aber wie auch die Wand aus Glas, das war der nicht Wind-, sondern Katzenfang. Denn drinnen im Gastraum konnten sich die Tiere frei bewegen. Die Fenster waren, soweit sie offen standen, mit Gittern versehen, davor standen Körbchen, und überall gab es Katzenspielzeug. Wenn das den Tieren zu viel wurde, konnten sie am Kratzbaum in die Höhe flüchten und auf den mit Filz bedeckten Rohren der Lüftungsanlage oder speziell angebrachten Baumästen lustwandeln. Heute war, vermutlich aufgrund der Hitze, nicht viel los, eine Katze schlief mir gegenüber auf einem Stuhl, und die anderen lagen irgendwo oben, manchmal konnte man irgendwo ein Ohr zucken sehen. Die Bedienstete erzählte mir, dass es in Deutschland inzwischen auch ein erstes derartiges Katzencafé gäbe, nämlich in München.

Nachdem ich der Meinung war, erst einmal genug von der Innenstadt gesehen zu haben, fuhr ich zum Hauptbahnhof, denn dort sollte es einen Turm mit sehenswerter Aussicht geben. Den Turm gab es, die Stätte nannte sich "Bahnorama" und kostete 2,50 € Eintritt, die Auffahrt mit einem vollgläsernen Außenfahrstuhl sowie die Aussicht war auch nicht schlecht, letztere bestand aber im Wesentlichen im Anblick einer Riesen-Großbaustelle. Denn der Hauptbahnhof war noch lange nicht fertig, hier hielten auch noch gar keine Züge, sondern bisher nur S-Bahnen. Das heißt, möglicherweise hielten sie schon, nur aussteigen konnte man nicht, ich habe den Verdacht, dass mein letzter Halt auf freier Strecke gestern vor der Ankunft genau dieser Baustelle geschuldet war.

Bellevue Von hier aus fuhr ich zum Bellevue, einem Barock-Schloss auf einer Anhöhe, von dem aus man auch einen schönen Blick auf die Stadt hatte, wie der Name ja schon sagt. Aber auch der Schlosspark lohnte einen Besuch. Mein nächstes Ziel war der berühmte Nasch-Markt, dort angekommen musste ich aber feststellen, dass ausgerechnet am Sonntag hier nichts los war, das hätte ich wohl ein bisschen besser recherchieren sollen.

Da hatte ich dann also noch etwas Zeit, mir mal die Stelle anzugucken, wo heute die Kajakfahrer ankommen sollten und wo ich morgen (da war ein Ruhetag angesetzt) auch dazustoßen wollte. Bezüglich dieses Ortes gab es nämlich eine kleine Unsicherheit, denn bei der Ankunft hatte ich den Zettel mit der Anfahrtsbeschreibung nicht bei den Unterlagen gefunden, den muss ich wohl verbaselt haben. Im Donau-Flussführer [2] (von dem ich Kopien der relevanten Seiten mitgenommen hatte) waren zwar die TID-Übernachtungsplätze verzeichnet, aber das Buch war 10 Jahre alt, das konnte sich durchaus inzwischen geändert haben. Und so war es dann natürlich offenbar auch. Genau an der bezeichneten Stelle befand sich nämlich eine U-Bahn-Brücke, welche das Buch nicht kannte, und von den Paddlern weit und breit keine Spur, ich bin dort ziemlich lange umhergelaufen. Und ganz dusseligerweise hatte ich auch das Handy nicht dabei, so dass ich erst zum Hostel zurückmusste, um Erkundigungen einziehen zu können.

Mo, 08.07.2013

Noch vor dem Frühstück ging ich zur Rezeption und konnte tatsächlich einen Computer benutzen, um herauszusuchen, wo ich denn jetzt hinmusste, denn die Stelle (es nannte sich "Steinspornbrücke") war auf meinem Stadtplan schon nicht mehr verzeichnet. Aber im weltweiten Netz lässt sich bekanntlich fast alles auf der Welt finden. Es gab dabei nur leichte Diskrepanzen: Google Maps benannte meine Zielhaltestelle als "Raffineriestraße/Gh Roter Hiasl", währen die Webseite der Wiener Verkehrsbetriebe sie als "Raffineriestraße/Biberhaufenweg" bezeichnete. Jedenfalls sollte ich ab der Donaustadtbrücke den Bus 92B nehmen. So habe ich denn meine restlichen Sachen zusammengepackt und mich um 1000 Uhr frohgemut auf den Weg dorthin gemacht.

An der U-Bahnhaltestelle stieg mit mir ein Mann aus und fragte mich auf englisch, ob ich auch die Donau paddeln wollte. Er war Finne und ebenfalls Teilnehmer der Tour, und sogar auch mit Faltboot. Wir ergänzten uns hier ganz wunderbar, denn er wusste nichts von dem Bus, wäre die 3 Kilometer zum Platz sonst gelaufen, dafür kannte er dort dann den Weg zum Zeltlager, da wäre ich ohne ihn wahrscheinlich noch ein bisschen umhergeirrt. Denn die Zelte standen etwas versteckt in einer Parkanlage auf der Donauinsel.

Als erstes machte ich eine Begrüßungsrunde über den Platz, aber die meisten Leute einschließlich der Organisatoren waren unterwegs in der Stadt. Also erst einmal das Zelt aufbauen, ich fand sogar einen schattigen Platz dafür. Währenddessen packte der Finne ein paar Plätze weiter sein Faltboot aus. Und das sah interessant aus, denn sein Gerüst war schwarz. In der Erwartung, einen Vertreter modernster Technologie mit Gerippe aus Plastik bewundern zu können, unterbrach ich die Arbeiten und ging hinüber. Doch sein Boot entpuppte sich als ein Wayland (ein polnischer Klepper-Nachbau) in einer Camouflage-Ausführung, und das Gerüst war nur schwarz lackiert, aber aus Holz wie eh und je. Sogleich gesellte sich noch einer dazu, der das Englische mit stark osteuropäischem Akzent sprach (ein Serbe, wie ich später erfuhr), und schon waren wir im schönsten Fachsimpeln, noch bevor überhaupt mein Zelt stand.

Zelt und Boot sind aufgebaut, es kann losgehen Irgendwann gingen wir natürlich auch wieder auseinander, und ich konnte zuerst mein Zelt fertig und dann das Faltboot aufbauen. Bei letzterem handelt es sich um einen klassischen Einer aus DDR-Produktion, den ich kurz vor dem Fall der Mauer kaum gebraucht und günstig erwerben konnte (die Dinger wurden seinerzeit über Karstadt bei uns vertrieben) und mit dem ich seitdem auf einigen größeren Touren unterwegs gewesen bin. Im Laufe der Zeit hat dabei die Bootshaut einen ganz eigenen Geruch angenommen, bei dem diverse Sorten Sonnencreme ein zwar deutliches, aber nicht alleiniges Element bilden und der wie schon bei den Vorbereitungen im Winter mich auch jetzt sofort in Urlaubs- und Hochstimmung versetzte.

Aber zuerst musste ich mich noch verproviantieren, denn in meinem Rucksack war dafür nicht der kleinste Platz mehr gewesen. Also wieder zurück in die Stadt. Mit mir fuhren Miriam und Lukas, die mit einem Faltbootzweier da waren, und Willy aus der Gegend von Leer, der noch einen Wassersack besorgen wollte. Von ihnen erfuhr ich, dass es bei der Fahrtenbesprechung um 1800 Uhr (von der es in den Unterlagen hieß, die Teilnahme sei Pflicht, welche die drei aber schwänzen wollten) etwas warmes zu essen geben wurde. Und es klang leichter Unmut durch über Teilnehmer, die schon vor fünf Uhr aufstünden und Lärm machten, sie wären ja eher später dran, nicht vor sechs.

Wieder alleine holte ich erst einmal den Besuch auf dem Nasch-Markt von gestern nach. Hier gab es kulinarische Köstlichkeiten aus nun wirklich der ganzen Welt. Da es sich dabei aber eher um ausgefallenere Dinge handelte und vieles auch zum Essen vor Ort angeboten wurde, musste ich danach doch noch einen gewöhnlichen Supermarkt aufsuchen, bevor es langsam Zeit wurde, wieder zurückzufahren.

Ich kam gerade rechtzeitig an, um mich den Paddlern anzuschließen, die sich mit Teller und Besteck zu einem Vereinshaus in der Nähe aufmachten. Dort konnte ich mich bei Heidi, der deutschen Tourleiterin, mit der ich gestern ja schon telefoniert hatte, anmelden. Auf dem Hof waren Biertischgarnituren aufgestellt, es war von 100 bis 120 Teilnehmern die Rede, und es gab Gulaschsuppe mit Brötchen (im Teilnahmebetrag inbegriffen) und einen Ausschank mit Bier (zum Selbstbezahlen). Die sogenannte Fahrtenbesprechung bestand aus einem Vortrag von Stefan, dem Österreichischen Fahrtenleiter, der den Ablauf für morgen vorstellte. Grundsätzlich war es ja so, dass jeder Teilnehmer auf eigene Faust losfahren konnte, man musste sich nur bis 1800 Uhr am jeweiligen Etappenziel einfinden, oder aber sich melden, falls das einmal nicht möglich sein sollte. Für morgen war aber ein Wehr zu bewältigen, was entweder mit Bootswagen umkarrt werden musste, oder aber es musste geschleust werden. Morgen würde es nur eine einzige Schleusung geben, und die Zeit derselben sei noch unsicher, er würde das auch erst zur Abfahrt ankündigen können, die wäre aber nicht vor halb zehn. Dann warnte er noch vor einer Buhne bei Flusskilometer 1910, bei dem derzeitigen hohen Wasserstand würden dort quasi Wildwasserverhältnisse herrschen.

Nach dem Essen wurde ich vom Nebentisch angesprochen, und ich erkannte Fritz von dem Kanuverein in Rotenburg (Wümme), in dem ich vor vielen Jahren das Kajakfahren gelernt hatte. Er hatte meinen Namen auf der Teilnehmerliste ("zur Bildung von Fahrgemeinschaften") gesehen, ich jedoch hatte mir diese Liste gar nicht angesehen, da ich die An- und Abfahrt ja ohne Fahrgemeinschaft geplant hatte. So war das für mich also eine nette Überraschung. Zusammen mit ihm waren noch Niels mit seinem 12-jährigen Sohn Aaron mitgekommen, die ich beide nicht kannte, sie waren dort erst nach meinem Weggang Mitglied geworden.

Di, 09.07.2013

Die erste Nacht im Zelt schlafe ich immer etwas unruhig. Daher wurde ich auch schon um 410 Uhr wach, als die Vögel anfingen, Lärm zu machen. Aber weil es gestern mit mehreren Bieren doch ziemlich spät geworden war, bedurfte es keiner ganz großen Anstrengungen, um noch bis 700 Uhr weiterzuschlafen. Auch das erste Packen brauchte etwas länger, da ich jedoch mit meinem Rucksack nicht besonders viel Zeug mitgenommen hatte, passte alles sehr gut ins Boot, und ich konnte sogar den Bootswagen noch darin unterbringen, den ich normalerweise hinter der Luke auf das Oberdeck geschnallt hätte. Als ich mich danach in die Schlange der Paddler an der Einstiegsstelle einreihte, konnte ich sehen, dass das nicht jedem hier so ging. So manch einer musste sich zusammen mit dem Bootswagen teilweise mehrere Packstücke auf das Achterdeck schnallen, und es gab Boote, die auch vorne noch eine kleine Deckslast trugen.

Aber schließlich war auch ich endlich unterwegs. Die Sonne schien, die Strömung der Donau trug mich vorwärts, und bald schon ertappte ich mich dabei, zu pfeifen und sogar zu singen:

Heureux qui comme Ulysse
Peut faire un beau voyage
Heureux qui comme Ulysse
Peut voir cent paysages
Et puis peut retrouver
Après maintes traversées
Le pays des vertes allées

Par un petit matin d'été
Quand le soleil vous chante au cœur
Qu'elle est belle, la liberté
La liberté
Quand on est mieux ici qu'ailleurs
Quand un ami fait le bonheur
Qu'elle est belle la liberté
La liberté

Avec le soleil et le vent
Avec la pluie et le beau temps
On vivait bien contents
Mon bateau, ma Danube et moi
Mon kayak, ma Danube et moi

(frei nach Georges Brassens)

Endlich unterwegs Nach relativ kurzer Strecke war die Schleuse erreicht. Die offizielle Schleusenzeit war mir gar nicht bekannt, denn ich hatte sowieso vorgehabt, das Hindernis mit dem Bootswagen zu umkarren, statt hier lange in der heißen Sonne zu warten. Und damit war ich nicht alleine, was den Vorteil hatte, dass man sich beim Umtragen helfen konnte. Theoretisch bin ich in der Lage (und muss es auch sein), das alleine zu bewerkstelligen: Den Bootswagen neben dem an Land gezogenen Kajak auf die Spitze ausrichten, an einer Seite das Paddelblatt senkrecht darunterstellen, dann das Boot am Heck anheben, auf der Bootsspitze drehen und auf dem bereitgestellten Wagen absetzen. Das Paddel, das verhindert, dass der Wagen vor der Zeit umkippt, fällt dann beiseite, das Boot wird auf dem Wagen festgegurtet, Paddel einsammeln und man kann losrollern. Aber das alles ist natürlich viel einfacher, wenn das Boot von zwei Personen gehoben werden kann und eventuell sogar noch ein weiterer da ist, der solange den Wagen hält.

Wochenendhütten am Ufer Zuerst gab es am Ufer noch einige Holzhütten, die mich von ihrer Art her sehr an die Wochenenddomizile auf unserem Vereinsplatz in Over erinnerten. Auch diese Hütten waren zum Schutz vor Hochwasser auf Stelzen bzw. einen hohen Sockel gebaut, hier stand aber fast immer noch ein Dreibein mit einem Fischernetz daneben. Nach einer Weile aber wurde das Ufer gänzlich urwüchsig. Und auch die Kajakfahrer hatten sich weit auseinandergezogen, so dass ich wieder ganz alleine unterwegs war. So paddelte ich in aller Ruhe vor mich hin und lauschte dem Gezwitscher der Vögel am Ufer und dem Knistern der Kiesel auf dem Grund der Donau.

Gegen 1130 Uhr kam ich beim Uferhaus in der Nähe des Ortes Fischamend vorbei und beschloss, dass es, nachdem ich schon meinen Sonnenhut in die Donau getunkt hatte, um mir bei der Hitze etwas Kühlung zu verschaffen, jetzt höchste Zeit für eine Pause war. Natürlich hatte ich eine Trinkflasche mit Wasser dabei, die war aber inzwischen warm geworden, so gönnte ich mir zwei Apfelsaftschorlen und einen Eisbecher. Bald fanden sich auch die Kollegen aus Finnland ein, sie bestellten sich allerdings Bier und richtiges Essen.

Vorsicht vor den Fahrwassertonnen! Um 1245 Uhr schwangen wir uns aus dem Kehrwasser der Anlegestelle wieder in die Strömung des Flusses. Dabei musste man gehörig aufpassen, denn die Donau zog hier gewaltig, bei solchen Manövern ist schon manch ein Paddler gekentert. Und auch die Warnungen vor den Buhnen und den Fahrwassertonnen waren durchaus nicht unberechtigt. Hinter den (hier nur seltenen) Buhnen bildeten sich tolle Strudel, und manche Bojen wurden in wildem Tanz einen halben Meter hin- und hergeworfen. Die Strömung war so stark, dass entgegenkommende Schiffe zu ankern schienen. Das taten sie allerdings nicht, sondern warfen teilweise ganz ordentliche Wellen auf. Einer der Finnen hatte vorne auf seinem Boot eine Kamera auf einem kleinen Stativ montiert, und an einer Stelle, wo sich gerade drei Binnenschiffe begegnete, wollte er gerne filmen, brauchte aber beide Hände am Paddel und konnte so seine Kamera gar nicht einschalten.

Eines dieser Schiffe (von weit her, aus den Niederlanden) sah fast eher wie ein Wohn- als ein Arbeitsschiff aus, nicht nur schwarz und weiß, sondern auch noch grün und gelb gestrichen und mit üppigen Blumenkästen vor den Kajütenfenstern. Das erinnerte mich an Gedanken, die mir manchmal kommen, wenn ich am Ufer der Elbe sitze und nach dem n-ten Glas Rotwein anfange zu spinnen: Man nehme ein kleines Binnenschiff, mache es sich achtern in den Wohnräumen gemütlich, richte sich im Laderaum eine gut ausgestattete Werkstatt ein, in die bei Bedarf mit dem bordeigenen Kran das Auto, die Motorräder, Kajaks und was auch immer für Fahrzeuge eingestellt werden können, das Kabäuschen vor dem Laderaum bekäme ein paar Gästebetten, belasse das Ganze aber fahrfertig, und wann immer einem danach ist, werfe man die Leinen los, ist unterwegs und hat trotzdem seine gesamte Habe immer komplett dabei.

Bald war mit Hainburg das heutige Etappenziel erreicht. Am Ende des Ortes konnten wir an einer Slipanlage bequem aussteigen. Hier muss das Ufer durch das vergangene Hochwasser stark beschädigt worden sein, es war auf ganzer Länge komplett neu aufgeschüttet worden, die Bagger standen noch daneben, und nirgendwo wuchs auch nur ein einziger Grashalm. Auch die Zeltwiese hinter dem Parkplatz hatte offenbar unter Wasser gestanden, alles war mit Sand bedeckt, durch den das Gras gerade im Begriff war, sich wieder durchzuarbeiten. Viel Platz war hier außerdem nicht, wir mussten alle ganz schön zusammenrücken.

Nach dem Zeltaufbau wäre eine Dusche schön gewesen, aber die gab es hier nicht. Der österreichische Fahrtenleiter wurde mehrmals mit der Frage nach derselben konfrontiert, und bei der Hitze wurde seine Antwort "Man muss nicht jeden Tag duschen" nicht sehr erfreut aufgenommen. Aber im Donaucafé nebenan gab es wenigstens Schatten und kühle Getränke. Auf dem Weg dorthin kam ich an einem Boot vorbei, das mit "Bergedorfer KC" beschriftet war, und klönschnackte kurz mit den Besitzern, die ja aus der Nachbarschaft stammten und denen ich bei der nächsten Vierlandenfahrt bestimmt wieder begegnen würde.

Im Donaucafé wurde auch das Abendessen ausgeteilt, wieder eine Gulaschsuppe, aber von anderer Machart. Ich fand mich in einer interessanten Gruppe Menschen wieder: Ein junger Ire, zwei Damen aus Australien, ein Paar aus dem ehemaligen Jugoslawien. Der offizielle Teil fand am anderen Ende des langen Biergartens statt, so dass wir wenig davon mitbekamen. Aber die Australierinnen wurden gerufen und kamen mit einer Flasche Marillenschnaps zurück, die sie als offizielle Vertreter ihres Landes bekommen hatten. Dann stellten sie die Buddel auf den Tisch und sagten: "You have to finish this off. It is medical stuff, amongst others against dehydration". Man kann sich vorstellen, dass es ein angeregter Abend wurde. Die Jugoslawen erzählten vom dreisprachigen Schulsystem unter Tito: Jeder lernte zunächst die Sprache seiner ethnischen Herkunft, dann Serbisch, und danach noch eine weitere Sprache. Und weil Marija eine deutsche Großmutter hatte, konnte sie da Deutsch lernen, während ihr Mann Zoltan das erst gelernt hatte, als er als Gastarbeiter nach Stuttgart kam.

Aber natürlich wurde auch ganz viel von vergangenen Paddeltouren erzählt, bis es dunkel wurde und uns die Mücken (gegen die der medical stuff nicht half, so sehr wir es auch versuchten) uns in die Zelte trieb.

Paddelstrecke 40 km

Mi, 10.07.2013

Ich wurde wach, weil sich direkt neben meinem Kopf, nur durch eine dünne Zeltwand von mir getrennt, jemand laut beklagte, dass die ersten heute schon wieder gegen 5 Uhr angefangen haben, Krach zu machen. Naja, jetzt war es kurz vor 7, da konnte ich auch so langsam aufstehen, während er nebenan "Guten Morgen, liebe Mücken, seid ihr auch schon alle da" sang. Auf dem Weg zum Toilettenwagen kam ich an der Anlegestelle vorbei, und dort waren trotz der frühen Stunde schon einige Leute zugange, ein paar besondere Wasserfahrzeuge auszuprobieren. Da war zunächst einmal das Stand-Up-Paddelbrett von Frank, der mir schon gestern aufgefallen war, weil er sein ganzes Gepäck auf eben dieses Brett geschnallt hatte und dann darauf stehend unterwegs gewesen war. Dann waren da zwei rosa Fahrzeuge mit winzigen Luken, die ich gestern ebenfalls am Anleger liegen gesehen und auf die Ferne für Rennboote für Kinder gehalten hatte. Aber es handelte sich um Mischungen aus Kajak und Ski, in die Luke kam je ein Fuß, der darin festgeschnallt werden konnte. Der Fahrer konnte damit auf dem Wasser stehen, und er bewegte sich fort mit einem extralangen Doppelpaddel. Diese Fahrzeuge wurden gerade getestet von Daniel, der unterwegs einen Film von der Tour drehen wollte und mit einem Holzkajak reiste, den er "Schneewittchenkuchen" getauft hatte. Dieser Bootsname wies, wie ich gerade kürzlich gelernt hatte, den Besitzer als Ostdeutschen aus, denn das war die DDR-Bezeichnung für das Gebäck, das im Westen "Donauwelle" genannt wird. Schließlich lag hier noch der große Canadier von Božo, der sein Boot in Ingolstadt nicht nur mit einem Verdeck, sondern auch mit Pedalen und Schaufelrädern ausgestattet, dies jedoch schon in Regensburg wieder abgebaut haben soll und nun ruderte. Hier schienen also die "Verrückten" der Tour alle auf einem Haufen versammelt zu sein, es gab hochinteressante Gespräche, und immer wieder wurde die Vogalonga erwähnt, auf der man sicher noch eine Menge noch viel skurillere Wasserfahrzeuge zu sehen bekommen konnte.

Ankunft in Bratislava Die heute zurückzulegende Strecke bis nach Bratislava betrug nur 16 Kilometer, und wir sollten zwischen 1100 und 1400 Uhr dort sein. Trotzdem war ich schon um 915 Uhr unterwegs, denn ich wollte gerne noch vor der ganz großen Mittagshitze dort ankommen. Die Fahrt war nett, es gab nach den Wäldern an den Ufern gestern heute wieder ein paar Berge zu sehen. An der Grenze zur Slowakei floss von links die Morava (deutsch: March) in die Donau, bewacht von der Ruine der Burg Devín. Und die große Burg von Bratislava war auch schon von weitem sichtbar, es ging daran vorbei und unter einer sehr modernen Beton- und einer alten Eisenbrücke hindurch, dann wurde rechts angelandet. Hier war das Gelände eines Kanuvereins, wo wir unter vollem Baumschatten unsere Zelte aufstellen konnten, und Duschen gab es hier auch wieder. Auch Wäsche waschen konnte ich noch (ich hatte ein französisches Pendant zu "Rei in der Tube" mit, welches möglicherweise von einer früheren Faltbootfahrt auf der Loire stammte), bevor um 1400 Uhr die offizielle Begrüßung begann.

Wir hatten ja unterwegs eine Landesgrenze überfahren, da wurden Reden gehalten, der Bürgermeister war da, die Vertreter eines jeden Teilnehmerlandes gingen nach vorne, tauschten Wimpel aus und bekamen eine Papiertüte mit Geschenken ausgehändigt. Dann gab es Essen, hier bekamen wir Schnitzel mit Kartoffeln und Gurkensalat. Da ich so früh noch kein Bier mochte, kostete ich von der slowakischen Cola-Variante namens Kofola, die von den einheimischen Helfern stolz angeboten wurde. Und sie waren sehr erfreut darüber, dass ich dieses Getränk durchaus trinkbar fand und gleich noch einen Becher bestellte (ich gestehe allerdings, ich hatte auch mordsmäßigen Durst bei der Hitze). Beim Essen klönschnackte ich eine ganze Weile lang mit Niels und Aaron aus Rotenburg. Der Vater verdiente seine Brötchen als Oratoriensänger, trat also bei Kirchenkonzerten auf und kam auf diese Weise sehr weit herum in Norddeutschland.

Das in wasserdichte Beutel verpackte Reisegepäck Fahrkarte Bratislava Danach hatte ich genug Zeit, noch einmal in die Stadt zu gehen, ein Stück am Ufer entlang und über eine alte Eisenbrücke, die lange nicht mehr entrostet worden war und auch nur noch für Fußgänger und Radfahrer freigegeben war. Drüben kaufte ich eine 24-Stunden-Fahrkarte für 4,50 €, denn morgen war Ruhetag hier, und fuhr wieder einmal Straßenbahn. Es war gar nicht einfach, herauszubekommen, welche Bahn in Richtung Burg führt, und das letzte Stück musste ich sowieso laufen. Aber von dort hatte man einen schönen Ausblick auf die Donau und die Strecke, die ich gekommen war. Der Ausblick auf die Stadt hingegen war größtenteils durch Bäume verstellt, was ich zwar aus touristischer Sicht jetzt etwas schade fand, aber grün in der Stadt ist ja eigentlich eine prima Sache. Danach fuhr ich noch etwas kreuz und quer, setzte mich in irgendein Café und schrieb erste Postkarten beim ersten Bier. Als "Beilage zum Bier" gab es hier übrigens einen eingelegten Camembert "Nakládaný Hermelín", der war sehr lecker und sättigend.

Zurück auf dem Vereinsgelände war inzwischen eine Party im Gange, eine Band machte Musik, und teilweise wurde sogar dazu getanzt. Das Repertoire bestand einerseits aus bekannten Melodien, die jedoch mit offenbar slowakischen Text vorgetragen wurden, und andererseits aus mir unbekannten Stücken, die mir wie Zigeunerweisen vorkamen und dem Abend eine starke Balkanatmosphäre verschafften. Ich saß wieder mit Marija und Zoltan zusammen, diesmal war auch noch Dana aus Tschechien dabei, und um 2300 Uhr waren wir so ziemlich die letzten. Bevor ich mich in meinen Schlafsack rollte, ging ich noch einmal kurz zum Ufer, und der Anblick über die Donau hinweg auf die erleuchtete Stadt war wirklich schön.

Paddelstrecke 16 km

Do, 11.07.2013

Um 340 Uhr wurde ich abrupt geweckt, weil plötzlich ein kräftiger Wind durch die Baumwipfel fegte. Unten beim Zelt war es zwar ruhig, aber es würde Regen geben, also stürzte ich hinaus, nahm meine Wäsche (schon trocken) von der Leine und drehte das Faltboot um. Die Eile war allerdings überflüssig, es dauerte noch bis 445 Uhr, bis tatsächlich leichter Regen einsetzte, der pünktlich zum Frühstück um 700 Uhr wieder aufhörte.

Am heutigen Ruhetag wurde für 5 € pro Person eine Stadtführung angeboten, so gesellte ich mich anschließend zu den anderen, die darauf warteten, dass es um 830 Uhr losgehen sollte. Ein paar Leute waren aber auch am Musizieren, eine Gitarre wurde herumgereicht, und es gab sogar ein mehr oder weniger offizielles "Lied der TID" mit deutschem Text nach der Melodie von "Bye, bye, Love".

Der <I>Čumil</I> Unser Führer begann zunächst mit einem in gutem Deutsch gehaltenen Vortrag mit einer Menge Zahlen und Fakten, die ich mir jedoch nicht einmal ansatzweise merken mochte, dann ging es den mir schon bekannten Weg zur Stadt über die alte Brücke und auf der anderen Seite in die Altstadt. Hier bin ich gestern noch nicht gewesen, denn die Straßenbahnen fuhren allesamt außenherum, zwischen den alten Häusern war einfach nicht genug Platz. Heute nun bekam ich neben dem Rathaus einige schöne Palais zu sehen. Natürlich wurden wir dazu immer mit den passenden Hintergrundinformationen versorgt, und wir wurden unterwegs auf ein paar Bronzefiguren aufmerksam gemacht, die man nach stadtbekannten Originalen angefertigt hatte. Da waren beispielsweise ein Fotograf, der schöne Ignaz mit Frack und Zylinder oder, mein Favorit, der Čumil, ein Typ, der immer in die Kanalisation geklettert sein soll, um von dort den Damen unter die Röcke zu gucken. Beim Michaelertor gab es noch eines der schmalsten Häuser Europas zu sehen, doch als unser Führer dann ankündigte, nun die Altstadt zu verlassen (vermutlich Richtung Burg, die ich ja gestern schon besucht hatte), beschloss ich, mich hier auszuklinken und lieber noch den Turm des Michaelertors zu besteigen.

Eintrittskarte zum Turm Der Eintrittspreis hier sollte 4,30 € betragen, die Dame am Schalter hub zu einer langatmigen Erklärung an, von der ich aber kein Wort verstand. Meine Reisevorbereitungen erstreckten sich nämlich nicht auch noch auf die Slowakische Sprache, und bisher hatte ich gerade mal die Worte für "bitte", "danke" und "ein Bier/eine Cola" gelernt. Also kramte ich mein vor über 20 Jahren in zwei Volkshochschulsemstern erworbenes Russisch hervor, da konnte ich immerhin sagen, dass ich weder Slowakisch noch Russisch spräche und sie fragen, ob sie denn Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch spreche. Ihre Augen wurden bei der Länge dieser Liste zwar immer größer, aber wir kamen einfach nicht zusammen. Da musste das also auch so gehen. Immerhin waren die Beschriftungen der Ausstellung im Turm, welche etliche alte Waffen zeigte, auch auf Englisch, und von oben hatte man einen netten Ausblick über die Dächer von Bratislava. Blick vom Michaelertor über Bratislava

Auf dem Rathausplatz hatte man eine Bühne aufgebaut, es sollte ein französisches Musikfestival stattfinden, und die Gruppen spielten sich schon einmal ein. Die erste Gruppe bestand aus echten Franzosen, die weiteren hatten keine so weite Anreise hinter sich, man hörte unter anderen "Guerre, guerre, vent devant" mit (vermutlich) slowakischem Text. Aber man hatte Tische und Stühle auf den Platz gestellt, es gab bretonische Galettes und Crêpes (der Cidre allerdings fehlte), und die Bedienung verstand wenigstens mein Französisch und ich ihres. So blieb ich hier recht lange sitzen, zwischendurch kam auch noch Dana vorbei und setzte sich eine Weile dazu. Aber schließlich wollte ich mir auch noch den Martinsdom angucken. Das kostete mich hier 2 € Eintritt, und die Kirche wirkte innen recht dunkel trotz bunter Fenster. Aber die Krypta (die natürlich noch dunkler war) fand ich sehr sehenswert.

Abends bei der Fahrtenbesprechung hieß es, dass wir morgen wegen des Windes (die Wolken des Vormittages hatten sich wieder verzogen, aber einiger Wind war geblieben) spätestens um 730 Uhr abfahren sollten, wenn wir die Schleusung mitmachen wollten, es würde nur eine davon geben.

Abendessen gab es an Ruhetagen auch keines, ich ging deshalb mit einigen Leuten über den Deich zu einer Art Imbiss, wo wir lecker gebackenen Fisch (nannte sich "Heik") serviert bekamen.

Paddelstrecke 0 km

Fr, 12.07.2013

Da heute frühes Aufstehen angesagt war, drehte ich mich um 500 Uhr nicht noch einmal wieder um und war somit um 700 Uhr bereit zur Abfahrt. Ein Stück weiter oben hatten gerade drei junge Leute eingesetzt, von denen zwei ganz interessante Boote hatten, die Kajaks schienen nämlich aus Aluminium gebaut zu sein, solch ein Fabrikat kannte ich bis dato gar nicht. Ein Bayer namens Wolfgang, der neben mir auf dem Steg stand, erzählte dann auch, die Boote seien selbstgebaut. Die Gruppe von vier Rumänen seien gestern eingetroffen, und einer davon habe sich gleich beim Abladen die Hand an einer scharfen Kante seines Aluminiumkajaks aufgeschlitzt. Er habe selbst erste Hilfe geleistet, aber für den Jungen sei die Fahrt gleich zu Ende gewesen, noch bevor sie angefangen hätte. Und ein weiterer aus der Gruppe schien Probleme mit dem Steuern zu haben. Ich fuhr hin und bot ihm meine Hilfe an, aber er war schon dabei, seine Steuerleinen zu kappen, mit freilaufendem Steuer würde das bestimmt besser gehen. Er und einer seiner Kumpel sprach ganz passables Englisch, und sie wirkten alle drei wie gerade mit der Schule fertig und noch sehr unerfahren. Damit drückten sie den allgemeinen Altersdurchschnitt ordentlich nach unten, denn ein großer Teil der Teilnehmer war bereits Rentner. Das konnte auch gar nicht anders sein, denn sonst hat man ja kaum die Möglichkeit, die ganze Strecke mitzufahren, denn das dauert ja knapp zweieinhalb Monate. Diejenigen, die einer geregelten Arbeit nachgehen, können halt immer nur Teilstücke fahren, Willy beispielsweise hat sich als Werkzeugmacher den Urlaub aus zwei Jahren zusammengespart, um eine möglichst lange Strecke fahren zu können. Aber es gab auch noch eine Gruppe von fünf Jugendlichen aus Bonn, die gerade ihr Abitur gemacht hatte und jetzt im Ruderboot zum Schwarzen Meer fuhr, bevor dann im Herbst die Studien losgehen sollten.

Lauschiger Pausenplatz Wieder viel zu früh kam ich beim Stauwehr an. Zum Glück hatte sich der Wind inzwischen doch fast gelegt, der Flussführer meinte nämlich, hier sei bei stärkerem Wind das Anlanden sehr schwierig. Aber heute Morgen kein Problem, und auch ein Umtragehelfer war da, mit orangener Warnweste und dem Aufdruck "Security". Und auch an der zweiten Umtragestelle eine Weile später war ein rotbewesteter Helfer zur Stelle. Danach wurde das Ufer insbesondere auf der rechten Seite, wo die Grenze nach Ungarn verlief, sehr urwüchsig. Dichte Auwälder wuchsen bis an das Wasser heran, dazwischen konnte man aber auch immer die Folgen des Hochwassers sehen, das erst kürzlich hier gewütet hatte. Immer wieder gab es übermannshohe Verhaue von Schwemmholz zwischen den Bäumen, und streckenweise waren die Weidenbüsche allesamt unter mehr als 45° stromabwärts gebeugt. Aber in all dem Chaos fand ich doch auch ein schönes Stück Strand zum Anlanden, wo ich dann im Schatten auf einem Baumstamm sitzen, eine halbe Packung Kekse zum Mittag essen und danach etwas Mundharmonika spielen konnte.

Um 1500 Uhr erreichte ich das heutige Ziel, den Ort Gabčíkovo. Von der Ortschaft selbst war nicht viel zu sehen, nur ein paar einzelne Häuser standen in weiten Abständen am Ufer. Dann folgte die Ausstiegsstelle, eine schmale Rampe, und oben gab es eine pieksige Wiese mit hartem Boden und unzählige Mücken. Vor letzteren war ich schon vorab gewarnt worden, dieser Ort galt als der mückenverseuchteste der ganzen Tour, und ich hatte mich bei den ersten Häusern noch schnell mit Autan eingenebelt. Nach dem Zeltaufbau ging ich wieder zurück zur Rampe, um den anderen beim Anlanden zu helfen, und zwar nicht nur, weil dort weniger Mücken waren, sondern auch, weil ich bis zu den Knien im Wasser stehend wenigstens etwas abkühlen konnte. Die Rampe war wie gesagt relativ schmal, und davor wie dahinter lagen größere Steine im Wasser, da musste man das Kehrwasser schon sehr genau anfahren, und für viele war es eine Hilfe, wenn da jemand stand und die Bootsspitze fest- und von den Steinen fernhielt. In der Diskussion mit anderen, die daneben standen, wagte ich bald die Aussage "Die Faltbootfahrer können das", und im Laufe des Nachmittags zeigte sich, dass das stimmte. Wer ein so empfindliches Boot fährt, kann offenbar auch meist gut damit umgehen, während es bei einem Boot aus PE ja auch deutlich weniger ausmacht, ob es mal an einen Stein schrappt.

Um 1700 Uhr ging es zum Abendessen in die Gastwirtschaft "Hullám csárda" weiter zurück am Ufer. Hier gab es Fassbier und wieder eine Gulaschsuppe, aber die beste bisher nach meinem Geschmack, sehr würzig. Nicht überzeugend hingegen waren die Toiletten, als ich nämlich die Spülung betätigte, kam kein Wasser. In Folge musste ich feststellen, dass dies für den gesamten Sanitärtrakt galt, alle Wasserhähne eingeschlossen, ich konnte also nicht einmal einen Eimer füllen, um das, was gerade geschehen war, ungeschehen zu machen. Und weil recht bald mein Autan aufhörte, zu wirken, verzog ich mich ziemlich früh in mein Zelt. Drüben musste wohl noch wieder irgend etwas offizielles im Gange gewesen sein, denn irgendwann wurde bei den Zelten noch lautstark nach den Finnen gesucht.

Paddelstrecke 49 km

Sa, 13.07.2013

Nach dieser richtig lange durchgeschlafenen Nacht war ich um 600 Uhr schon putzmunter, und weil meine Behausung schon wieder der prallen Sonne ausgesetzt war, wollte ich auch zügig aufs Wasser. Hier gab es zwei Dixi-Toiletten und einen Anhänger mit Frischwassertank zum Auffüllen der Trinkflaschen, aber immer noch nur diese eine Rampe zum Einsteigen. Deswegen stand ich 20 Minuten mit meinem gepackten Boot in der Schlange und war erst um 745 Uhr unterwegs. Die Landschaft war unverändert wild, und das Wetter wurde unverändert warm, keine einzige Wolke am Himmel. Und weil die Strömung wieder (nach den Stauwehren von gestern) ordentlich schob, hatte ich irgendwann das Paddel hingelegt und versucht, es mir im Boot bequem zu machen. So ein Faltboot hat ja eine sehr große Luke, da kann man ganz gut mit dem Allerwertesten weiter nach vorne rutschen, die Beine vor der Luke auf das Oberdeck heben und sich so beinahe lang hinlegen. Ganz klappte das leider nicht, ich hätte doch noch eine kleine Nackenstütze gebraucht, und ich habe tatsächlich mit dem Gedanken gespielt, mir für die Zukunft eine zu bauen. Denn in dieser Lage war ich der Welt ziemlich entrückt. Über mir nur der azurblaue Himmel, das Plätschern meines Paddelschlages war verstummt, man hörte nur das Zwitschern der Vögel an den Ufern. Andererseits durfte ich es mir natürlich nicht erlauben, jetzt einfach mal einzuschlummern. Jederzeit konnten Schiffe auftauchen, und ich durfte auch keinesfalls gegen die immer wieder im Flusslauf verankerten Fahrwassertonnen gedrückt werden. Gerade gestern Abend waren Geschichten erzählt worden von einer Paddlerin, deren Steuer sich vor ein paar Jahren an einer solchen Tonne verfangen habe, es habe mehr als eine halbe Stunde gedauert, bis man sie habe befreien können, und bei solchen Aktionen riskieren auch die Retter Kenterung und Beschädigung ihrer Boote.

TID-Lager in &352;túrovo Die Stadt Komárno, wo heute die Fahrt enden sollte, machte vom Wasser aus einen sehr heruntergekommenen Eindruck, am Donauufer standen Industriebauten, die so aussahen, als sei die Hälfte davon schon abgerissen worden und die andere auch nicht mehr in Benutzung. Nach der Brücke, welche die slowakische Stadt Komárno (am Nordufer) mit der ungarischen Stadt Komárom (am Südufer) verbindet, mussten wir noch links 3,5 Kilometer den Nebenfluss Váh aufwärtspaddeln. Hier wurde das Wasser zwar jetzt schön blau (bisher hätte ich nämlich allenfalls "an der grauen Donau" gesungen), aber dafür ging es gegen die Strömung, und dafür brauchte ich noch eine ganze Dreiviertelstunde. Dafür wurde ich aber entschädigt durch eine wohltuende Dusche im Vereinshaus, nachdem ich an einem schwimmenden Ponton ausgestiegen und auf einem Wiesenstreifen vor dem Deich mein Zelt aufgebaut hatte. In diesem Vereinshaus gab es offenbar sogar Zimmer für die Organisatoren, wie ich nebenbei mitbekam, als ich mich angemeldet hatte und ich immerhin einen Stempel bekam, der für das Fahrtenbuch gedacht war.

Zum Essen gab es eine Suppe mit Paprikastreifen, Salamistücken und Ei. Danach hatten wir die Gelegenheit, uns von einem Shuttleservice in den Ort bringen zu lassen. Der setzte zuerst diejenigen, die Einkäufe erledigen wollten, an einem Lidl ab und brachte dann uns zum Zentrum.

chöne Häuser im Zentrum von Komárno Dort lief ich eine Weile kreuz und quer durch die Straßen, und das war sehr abwechslungsreich. Denn die Häuser wiesen alle möglichen Bauerhaltungszustände auf, von frisch renoviert bis abbruchreif war alles vertreten. Das Kino sah aus, als ob vor über 20 Jahren zuletzt ein Film darin gezeigt worden war, auch von anderen Gebäuden mit alten herrschaftlichen Fassaden blätterte die Farbe und bröckelte der Putz. Andere Häuser wiederum waren in tadellosem Zustand und leuchteten in frischen und fröhlichen Farben. Die Kirche war gerade eingerüstet, und drinnen konnte ich schöne Deckenmalereien bewundern. Auch das Rathaus leuchtete in frischem Gelb, der Vorplatz war mit blühenden Blumen umsäumt, im Schatten einiger Bäume konnte man sich auf Bänken niederlassen. Eine Hochzeitsgesellschaft verließ gerade das Amtsgebäude. Die Braut bedankte sich beim Abschied bei den anderen Frauen der Gesellschaft mit kössönöm statt ďakujem, die Leute sprachen also auch auf dieser Donauseite auch Ungarisch und nicht nur Slowakisch. Auch die Schilder waren oft zweisprachig.

Zu gegebener Zeit holte uns der Fahrer wieder am Treffpunkt ab, denn auch heute gab es noch einen offiziellen Veranstaltungsteil, zu dem mehrere Jugendliche Akkordeonmusik vorführten. Ich saß zuerst mit Niels und Aaron beim Rotwein, später dann bei dem Dokumentarfilmer Daniel und Dieter aus Heilbronn, der auch mit Faltboot unterwegs war und starkes Schwäbisch sprach. Um 2330 Uhr waren wir wieder mal ziemlich die letzten, die zu ihren Zelten gingen.

Paddelstrecke 56 km

So, 14.07.2013

Um 600 Uhr wurde ich vollends wach, weil irgendjemand in einem Zelt nebenan seinen Handywecker nicht ausmachte, möglicherweise diesen auch vergessen hat, vor der Zeit aufgestanden war und jetzt schon unter der Dusche stand. Auch heute gab es wieder Stau bei der Abfahrt, diesmal allerdings, weil zuviele Leute meinten, gestern ihre Boote einfach auf dem Ponton liegen lassen zu können. Das wäre in Ordnung gewesen, wenn sie dann auch als erstes wieder losgefahren wären, dem war aber nicht so. Dafür ließ sich das erste Stück auf dem Váh jetzt mit der Strömung in weniger als einer halben Stunde bewältigen.

Kajaksegeln mit Schirm Heute hatte ich auch unterwegs etwas mehr Gesellschaft (was freilich auch an mir selbst lag, bisher hatte ich das als sehr angenehm empfunden, tagsüber weitgehend alleine zu fahren und mich abends dann unter das Volk zu mischen. Das war ganz ähnlich wie beim Motorradfahren: Auch in einer Gruppe sitzt man ja unterwegs auch trotzdem alleine auf seiner Maschine und kann sich nur in den Pausen oder nach der Fahrt mit jemandem unterhalten). Jetzt jedenfalls schnackte ich eine Weile mit Dana, die ich eingeholt hatte, als sie einen riesigen Sonnenschirm auspackte und versuchte, damit zu segeln, was aber nicht besonders erfolgreich war. Dann fand ich mich wieder bei einer Gruppe von Süddeutschen und Österreichern, die mit modernen Faltbooten unterwegs war und gerade den Skijak-Fahrer begleitete. Der stand dabei Modell für unser aller Kameras und führte auch eine Technik vor, mit der er unterwegs Pause machen konnte, ohne auszusteigen: Wenn er einen seiner Skijaks hinten anhob und schräg über das Hinterteil des anderen, noch schwimmenden Skijaks legte, dann konnte er sich daraufsetzen und so seine Beine entlasten, wobei er auf einer dreieckigen Auflagefläche stabil schwamm und sich treiben ließ ähnlich wie ich gestern. Kreuzung zwischen Kajaks und Skiern

Ich finde es immer schön, wenn ich an einem Sonntag früh unterwegs bin, gegen 1000 Uhr an einem Dorf vorbeifahre und mit Kirchenglocken auf der sonst stillen Fahrt begrüßt werde, und dieses Erlebnis hatte ich auch heute. Auf diesem Stück machten die Dörfer auf beiden Seiten auch optisch jetzt einen freundlichen Eindruck. Später kam ich an einem großen Wellness-Resort vorbei, vor dem schon eine Menge Boote lagen, und am Abend wurde auch von verschiedenen Leuten geschwärmt über Gastronomie und Ambiente. Ich jedoch suchte mir wieder einen Schattenplatz am Waldrand, hatte aber das Pech, dass das, was von weitem aussah wie Strand, sich als Modder entpuppte, in den ich knietief einsank. Aber hier gab es ja Wasser genug.

Leider jedoch auch etliche Mücken, so dass meine Pause etwas kürzer ausfiel und ich gegen 1500 Uhr am heutigen Ziel ankam. Die Ausstiegsstelle war wie immer mit einem weißen TID-Wimpel gekennzeichnet, dann musste man ein Stück mit dem Bootswagen rollern, bis man von hinten an den "Spielplatz der Lehrlingeschule der Zellulosefabrik in Štúrovo" (es war der Sportplatz) ankam und aufbauen konnte. Schatten gab es keinen, und man musste ganz über das Fußballfeld auf die andere Seite zu den Sanitäranlagen gehen, aber dort gab es eine willkommene Dusche. Noch weiter weg, nämlich an der Schule vorbei und über die Straße, gab einen Imbiss ("Buffet"), wo die Besprechung stattfand und das Essen ausgegeben wurde. Was es zu Essen gab? Richtig geraten: Gulaschsuppe, diesmal mit Kartoffeln. Morgen sollten wir nicht vor 900 Uhr starten, weil in Visegrád die Ausstiegsstelle sehr steil sei, man habe 4 Helfer engagiert, die aber so früh noch nicht da wären. Niels, der mit seinem Sohn, Fritz und dessen Kumpels anscheinend immer einer der ersten war, meinte: "Wir fahren trotzdem, lassen uns dafür unterwegs mehr Zeit". Aber es wären morgen ja auch nur 23 bis 26 Kilometer, die Angaben differierten etwas, zu fahren. Das wurde ganz allgemein als ungenügend empfunden, ich hörte öfters Aussagen wie: "lohnt sich ja kaum, dafür das Boot nass zu machen".

Recht schnell war auch das Bier alle, da hatte sich wohl jemand bei der Bestellung verkalkuliert. Aber ganz in der Nähe gab das einen Supermarkt, da wurde dann nachgekauft, und ich nahm mir auch noch etwas Obst und Joghurt mit. Später auf dem Weg zur Toilette traf ich auf zwei junge Männer, die gutes Englisch sprachen und die Boccia-Kugeln dabei hatten, damit aber nichts anzufangen wussten. Ich selber spiele sehr gerne die französische Variante, Boule oder Pétanque, hatte mir natürlich auch mal vor Ort die entsprechenden Kugeln besorgt, fand es aber noch nie eine gute Idee, die schweren Kugeln in einem Kajak zu transportieren, nicht einmal, wenn man sich in Frankreich befindet. Aber hier erklärte ich ihnen gerne, wie man das in Frankreich spielt, und wir machten etliche Partien, bis irgendwann der Toilettengang denn doch unignorierbar sein Recht forderte.

Paddelstrecke 49 km

Mo, 15.07.2013

Um 620 Uhr blies ganz in der Nähe eine Eisenbahn zum Wecken, nein, keine Dampflok, dafür umso lauter. Der Himmel war erst einmal wieder von einem leichten Wolkenschleier überzogen, und es war in der Nacht frisch geworden. Ich hatte irgendwann tatsächlich den Schlafsack zugemacht, statt nur darauf zu liegen wie die vergangenen Nächte, und meine kleine Trinkflasche hatte sich ganz lustig zusammengezogen. Dies war eine Wegwerf-PET-Flasche von einem halben Liter, die ich in Wien behalten hatte, weil meine große Trinkflasche (übrigens eine deutsche Deit-Pfandflasche, wird am Ende einer Tour beim Getränkehändler abgegeben, die früher verwendeten Aluflaschen der Firma Sigg ließen sich immer so schlecht reinigen) nicht immer unter jeden Wasserhahn passt. Einen Wassersack hatte ich zwar auch noch mit, aber bisher noch nicht benutzt, mit dem kommt man allerdings unter jeden Wasserhahn.

Es gab ein üppiges Frühstück mit dick Käse auf dem Brot (die Packung sah wiederverschließbar aus, war es aber nicht, drum machte ich den Käse lieber gleich alle), Apfel und Joghurt. Dabei betrachtete ich in aller Ruhe, ich hatte ja jede Menge Zeit, die Leute um mich herum, die oft schon dabei waren, ihre Lager abzubauen. Der Skijak-Mann zum Beispiel hatte eines dieser Zelte der Firma Quetschua dabei, die sich von selbst aufstellen, und man mit einem Drehgriff (wenn man weiß, wie es geht!) zu einem Teller von ca. 1 Meter Durchmesser zusammenfalten kann. Sowas lässt sich natürlich nicht in einem Kajak verstauen, aber er konnte mit seinen Skijaks sowieso kein Gepäck mitnehmen, sondern hatte ein Begleitfahrzeug. Als ich vom Abwaschen zurückkam, waren die meisten schon weg. Mein Zeltnachbar, der Schwabendieter, war noch da und unterhielt alle jetzt noch vorbeikommenden mit in seinem unvergleichlichen Dialekt vorgebrachten "Döntjes". Da setzte ich mich doch glatt noch einmal hin und hörte zu, bis er auch fertig war und sich verabschiedete.

Unten am Strand war noch eine Truppe Faltbootfahrer mit Miriam und Lukas, Willy und Konsorten da, die ließen das ja nicht nur heute eher etwas ruhiger angehen. Einem anderen aus der Gruppe fiel die gebogene Rückenlehne meines Bootes auf, und er klagte über seine, die ganz gerade war, davon bekäme er immer schnell Rückenschmerzen, und wo man denn so etwas bekäme. Bei mir war das Serie, aber er könnte vielleicht versuchen, einen ausgedienten Schulstuhl zu bekommen und sich die Rückenlehne (und vielleicht auch die Sitzfläche) passend sägen und in sein Boot einbauen. Ich verfolge nämlich für irgendwann noch einmal den Traum, mir nach den Maßen meines Faltbootes ein Kajak aus Sperrholz zu bauen (für Insider: Stitch-and-Glue-Technik), und diese beiden Teile aus genau der bezeichneten Quelle liegen schon ein paar Jahre zuhause im Keller. Ja, und schon ging wieder einige Zeit mit dem Klönschnacken über solche Projekte ins Land.

Die Kathedrale von Esztergom Nach einem kurzen Stück auf dem Wasser dämmerte mir die Erkenntnis, dass man die Morgenstunden möglicherweise auch anders sinnvoll hätte nutzen können. Gegenüber lag nämlich die ungarische Stadt Esztergom, und auf einem Hügel im Zentrum thronte eine schöne Kathedrale. Gestern sind einige Mitfahrer per Shuttledienst dorthingefahren, und die Kirche und die Aussicht vom Rundgang der Kuppel soll sehr sehenswert gewesen sein. Nun, man kann nicht alles haben, jetzt war mir das dann doch zu spät für einen Halt, und heute Nachmittag in Visegrád sollte es ebenfalls eine Fahrtmöglichkeit auf die Zitadelle dort geben, wenigstens da wollte ich dann rechtzeitig da sein.

Auf diesem Abschnitt rückten wieder die Berge dicht heran an die Donau, die sich in ein paar netten Schleifen dort hindurchwand. Das hatte allerdings den unangenehmen Nebeneffekt, dass der Wind, der heute einigermaßen kräftig war, nicht immer von hinten schob, sondern zeitweise auch fiese von der Seite kam und kleine Wellen aufwarf, auf die ich lieber verzichtet hätte. So war ich kurz davor, meine Spritzdecke herauszuholen und die Luke zu schließen, auf alle Fälle querte ich den Flusslauf und hielt mich dichter unter Land. Das gab mir also eine klitzekleine Andeutung auf die nun wahrlich nicht neue Erkenntnis, dass Fahrten auf solchen Großgewässern bei entsprechenden Bedingungen strapaziös und auch gefährlich sein können. Stories dazu aus früheren Jahren hatte ich schon zur Genüge zu hören bekommen, selbst aber auf dieser Tour bisher immer nur Ententeichbedingungen erlebt.

Die Burg von Visegrád kommt in Sicht Eintrittskarte Burg Die Burg von Visegrád war weithin sichtbar, noch davor ging es rechts ans Ufer. Es gab nur zwei Helfer, aber das waren echte Kerle, Bodybuilder mit militärischem Haarschnitt. Trotzdem holte ich einen Verzurrgurt heraus, diesen zu einem Ring geschlossen um das schwere Bootsheck gelegt konnte man zu zweit rechts und links hineingreifen und so zu dritt ein bepacktes Boot tragen. Und es war gerade rechtzeitig zur Abfahrt des Busses um 1400 Uhr, keine Zeit mehr zum Zeltaufbau. Die Strecke hoch auf den Berg würde auch einem Motorradfahrer gefallen. Es kostete Eintritt, aber man hatte nicht nur eine tolle Aussicht, sondern es gab drinnen auch ein Museum. Und wir hatten eine Führerin, eine Studentin aus Budapest, die etwas Deutsch und Englisch sprach und das Wichtigste übersetzte.

Zurück beim Lager (wieder ein Sportplatz mit einem Imbiss darauf), gab es wieder eine neue Anmeldeprozedur, wir waren ja jetzt in Ungarn angekommen. Es gab einen neuen Fahrtenleiter, Balázs, der neben Ungarisch nur noch Englisch sprach. An jeden Teilnehmer wurde ein T-Shirt mit Aufdruck ausgegeben, und es wurden natürlich wieder Reden gehalten. Die Studentin, die uns schon auf der Zitadelle begleitet hatte, übersetzte dabei. Sie machte das ganz ordentlich, auch wenn man zugeben musste, dass es nicht immer völlig flüssig ging. Aber als sich dann recht bald irgendein Typ meldete und erklärte, er sei mit beiden Sprachen aufgewachsen, und damit das hier nicht zu lange dauere, würde er das jetzt übernehmen, fanden wir (ich stand mit Niels unter den Zuhörern) das doch unerhört. Das arme Mädel hat zwar prima die Contenance bewahrt, sich aber danach dann wohl abgesetzt, wir haben sie nie wieder gesehen.

Rumänisches Selbstbaukajak Nach Zeltaufbau, Dusche und Abendessen (es gab Lammgulasch mit Kartoffeln und einem für meinen Geschmack deutlich zu scharf gewürzten Salat) bin ich noch ans Ufer gegangen, denn es hieß, es solle da irgendwo eine alternative Einsatzstelle geben, wo das mit den Booten nicht ganz so eine Plackerei werden würde. An der Rampe von heute Mittag fand ich erst einmal die selbstgebauten Boote der Rumänen liegen. Das hat mich sehr gefreut, ich hatte schon, weil ich die Jungs tagelang nicht gesehen hatte, gedacht, sie hätten allesamt aufgegeben. Dann ging ich am Ufer entlang Richtung Stadt. Zunächst ging das gut, aber dann führte der Pfad durch ein Gehölz, wo mehrere umgestürzte Bäume quer lagen, das war mit Kajak und Bootswagen nicht mehr vernünftig machbar. Am jenseitigen Rand des Gehölzes fand ich Willy, Miriam und Lukas, Božo und den Rest der Truppe, die dort am Strand ihr Lager aufgebaut und sogar ein Feuer angezündet hatten. Sie hatten hier zwar nur warmes Bier, aber einen tollen Blick flussaufwärts und in gewisser Weise auch ihre Ruhe hier. Sie sagten jedenfalls "so etwas können die anderen da hinten nicht machen", teilten ihr Bier mit mir, und wir haben uns prima unterhalten, bis es stockfinster war und Zeit, in die Zelte zu kriechen. Wegen der Dunkelheit und der umgestürzten Bäume ging ich lieber noch ein Stück weiter und dann entlang der Straße zurück, ein ziemlicher Umweg, aber besser war das wohl. Am Platz saßen noch die letzten Unentwegten, und ich gesellte mich noch kurz auf ein diesmal gekühltes Bier dazu.

Paddelstrecke 24 km

Di, 16.07.2013

Morgenstimmung Ganz früh am Morgen trieb mich meine Blase (ich sollte wohl vielleicht nicht so viel Bier trinken abends) aus dem Schlafsack, gerade als die Sonne aufging und das Land in goldenes Licht tauchte. Niels und Aaron waren schon fast fertig mit Frühstücken, und ich begleitete sie dann zu ihrer Einsatzstelle, der "alternativen" Einsatzstelle, die ich gestern auf der falschen Seite unseres Lagers gesucht hatte. Der Weg dorthin war allerdings recht weit und das Einsteigen auch nicht unproblematisch, weil es hier statt dicker Steine eine Menge Schlamm gab. Zurück beim Lager gab es auch für mich erst einmal Frühstück, man konnte Omelette für 1,60 € bekommen. Beim Mampfen wurde erzählt, dass dem Dokumentarfilmer gestern Abend jemand Schläge angedroht habe, nachdem er wohl versehentlich ein Bier umgestoßen und dadurch den Inhalt einer Frau über die Hose gekippt habe. Der Erzähler fand die Reaktion des Mannes der Frau ziemlich unangemessen, zumal Daniel sofort um Entschuldigung gebeten und einen Lappen sowie neues Bier besorgt habe. (In der Zwischenzeit habe ich mit Daniel Kontakt aufgenommen, um mir ein Exemplar des Films [7] zu sichern, und er berichtete, der Mann sei in Budapest zu ihm gekommen und habe um Entschuldigung gebeten.)

Zur Abfahrt entschied ich, die reguläre Einstiegsstelle zu nehmen, und es erwies sich auch tatsächlich als leichter, mit dem Bootswagen abwärts über die Steinbrocken zu humpeln, als das schwere Boot auch noch hochziehen zu müssen. Allerdings ging es nur langsam, aber da die Leute vor mir auch ihre Zeit brauchten, kam ich ganz gut zurecht.

Unmittelbar vor mir stieg Dana aus Brno in ihr Boot, hatte aber irgendein Problem mit ihren Steuerleinen und wollte noch einmal kurz wieder aussteigen, um das zu beheben. Mich fragte sie, ob ich derweil kurz ihre Kameratasche halten könne, die sie sich schon unter die Knie gelegt hatte. So stand ich dann also mit meinem Paddel in der einen und ihrer Kamera in der anderen Hand auf der Steinpackung und guckte zu, wie sie versuchte, aus ihrem Boot zu steigen, ohne dabei die verhältnismäßig sichere Technik der Paddelbrücke anzuwenden. Solche Momente kennt wahrscheinlich jeder: Man steht da, betrachtet das Geschehen und weiß genau: Das geht schief! Die Augenblicke dehnen sich fast endlos, trotzdem ist man unfähig, irgendetwas zu unternehmen. Und genau so geschah es auch hier. Sie hatte einen Fuß am Ufer, den anderen im Boot, das Boot entfernte sich ganz langsam von den Steinen, und irgendwann lag sie laut platschend im Wasser. Im letzten Augenblick gelang es mir noch, mich aus meiner Erstarrung zu lösen, mein Paddel neu zu fassen und das Boot am Abtreiben zu hindern. Sie nahm es mit Humor, fand es nicht einmal nötig, sich umzuziehen, denn es versprach heute wieder, ein warmer sonniger Tag zu werden, da würde sicher alles schnell wieder trocken werden.

Gleich hinter dem Berg mit der Burg teilte sich die Donau, und die dadurch gebildete Insel namens Szentendre-sziget war 38 km lang und ging bis an den Rand von Budapest. Bei der Besprechung gestern hieß es, wir sollten unbedingt den rechten Arm nehmen, sonst müssten wir am Ende wieder ein Stück stromauf zurückfahren. Die Insel war bei ihrer Größe natürlich bewohnt, es führte auch eine Fähre hinüber, später sogar eine Brücke.

Auf dem Flussarm von <I>Szentendrei-sziget</I> Es war noch ein gutes Stück hin bis Budapest, als sich der Fluss vor mir belebte. Eine große Gruppe Jugendlicher, die meisten in Einerkajaks, selten in Zweiern, kam mir entgegen. Begleitet wurde sie von einem Motorboot, aus dem heraus ein Betreuer mit einem Megafon pausenlos Anweisungen erteilte, mal diesem, mal jenem. Wir passierten einander, und als ich nach einer Weile dachte, so langsam könne die Megafonstimme, von der ich natürlich kein Wort verstand, die aber in meinen Ohren eine ziemlich unruhige Stimmung verbreitete, gerne mal leiser werden, brüllte sie etwas, was rein vom Tonfall her nichts anderes als "Achtung, fertig, los!" bedeuten musste. Ich drehte mich um und sah die ganze Gruppe in einer breiten Reihe auf mich zu kommen! Holla, da hieß es nun für mich auch, das Paddel fester zu greifen und Gas zu geben. Nun ist der Plünnenkreuzer zwar bei weitem kein Rennboot, schon gar nicht mit dem ganzen Gepäck, aber man kann auch dieses Schiff auf Tempo bringen, und für eine kurze Weile machte das sogar Spaß. Natürlich holten die Rennfahrer mich irgendwann trotzdem ein, aber bis dahin war ich weit genug seitlich aus der Bahn gefahren und hatte ihnen Zeit genug abgerungen, dass sie sich zu einer langen Schlange aufgereiht hatten. Und etwa einen Kilometer weiter war das Rennen zu Ende, und sie stiegen alle am linken Ufer an Land.

So langsam fühlte sich die Fahrt nun etwas zäh an. Es war wieder sehr warm und wolkenlos, und ich hatte schon zum zweiten Mal meinen Sonnenhut gewässert und erwog so langsam, mit meinem T-Shirt gleiches zu tun. In meiner Nähe paddelte ein Zweier, dessen Steuermann Martin anhand seines Dialektes eindeutig als Sachse zu identifizieren war, und ein Stück voraus fuhr ein älterer Mann in einem Canadier, den ich zwar schon einmal gesehen zu haben meinte, mit dem ich aber bislang noch nie gesprochen hatte. Relativ plötzlich, von Budapest war noch nicht viel zu sehen, tauchte am rechten Ufer der TID-Wimpel auf, mit dem die Etappenziele gekennzeichnet werden. Der Canadierfahrer vorne schien das nicht gesehen zu haben, denn er fuhr seelenruhig weiter - und dran vorbei. Martin fing an, zu rufen, und ich holte die Trillerpfeife an meiner Schwimmweste hervor (die ich erst aus dem Boot zerren musste und die ich eigentlich sowieso nur mithatte, weil in den Unterlagen stand, in Schleusen in Österreich sei sie Pflicht), aber alles umsonst. Und jetzt hinterherzufahren, hatte ehrlich gesagt keiner von uns große Lust.

An Land gab es Schilder, die uns anwiesen, die Boote ein Stück weit flussabwärts zu transportieren (das waren einige hundert Meter), dann ging es rechts auf ein Grundstück, wo Walter, einer der Organisatoren (den ich bislang seiner akzentbehafteten Aussprache wegen für einen Slowaken gehalten hatte, aber er fuhr ein Auto mit Gießener Kennzeichen, passte mit seiner Leibesfülle wohl auch nicht mehr in ein normales Kajak) an einem Tisch saß und unser Kommen auf einer Liste registrierte. Der Sachse war immer noch ganz aufgeregt wegen des vorbeigefahrenen Canadiers, aber Walter zuckte nur mit den Schultern.

Hier befand sich das Erholungsheim der Budapester Wasserwerke, auf dessen Gelände wir unter Bäumen die Zelte aufbauen konnten. Diese Bäume eigneten sich auch hervorragend zum Spannen einer Wäscheleine, da konnte ich nach der obligatorischen Dusche auch gleich noch mein Zeug reinigen. Auf dem Rückweg davon sah ich den Canadierfahrer einchecken, der beteuerte jedoch, nicht vorbeigefahren zu sein, sondern gerade eben auf direktem Wege eingetroffen zu sein. Wie auch immer, er war jedenfalls da, vielleicht hatten wir uns ja tatsächlich getäuscht, und das vor einer Stunde war jemand, der nicht zu dieser Tour gehörte, wir hatten den ja auch nur von Ferne gesehen. Dann galt es, einzukaufen. Natürlich waren genug Mitfahrer in früheren Jahren schon mal hier und konnten mir den Weg zu einem Supermarkt beschreiben: Zum Haupteingang raus, über die Wiese, an den Hochhäusern entlang und über die nächste Straße. Der Supermarkt hatte zwar mehr als hinreichend Lebensmittel, aber keinen Sonnenschutz-Labello, und gerade den brauchte ich eigentlich am dringendsten. Mit normaler Sonnencreme war ich natürlich ausgestattet, aber ich hatte mir inzwischen ganz übel die Lippen verbrutzelt, und spätestens wenn man nicht mehr lächeln mag, weil es wehtut, dann ist es höchste Zeit, etwas zu unternehmen. Zum Glück gab es in diesen Hochhäusern noch weitere Geschäfte, und ich fand in einer Apotheke eine Frau, die deutsch sprach und mir für 2760 HUF (das waren über 10 €) den teuersten Sonnenschutz-Labello meines Lebens verkaufte, allerdings war der auch von Vichy. Zurück am Haupteingang warf jemand von der Wache (in Uniform) tatsächlich einen Blick auf mein gelbes Armband, das ich bei der Anmeldung bekommen hatte, und später liefen auch Leute von der Security Streife über den Platz.

Für Fahrtenbesprechung und Abendessen hatte man ein riesiges Festzelt aufgebaut. Am Eingang saßen Wolfgang, Božo und Willy in der Sonne, und letzterer erzählte mir, er habe sich einen Anschiss vom ungarischen Organisator abgeholt, weil er sich erst um 5 Minuten vor 6 Uhr angemeldet hatte, obwohl er schon viel früher dagewesen war. Unmittelbar danach tauchte Balász auf, sah die drei draußen sitzen und mich daneben stehen, kam herüber und sagte, er habe jetzt etwas zu erzählen und wir mögen hereinkommen, weil wir das hier draußen nicht würden hören können. Willy zierte sich ziemlich, was mir etwas albern erschien, aber bei der Vorgeschichte auch irgendwie menschlich verständlich.

Drinnen wurde tatsächlich nach jemandem gefragt, der sich nicht als angekommen gemeldet hatte, aber auch der Versicherung geglaubt, derjenige sei inzwischen eingetroffen. Morgen würde es dann die Möglichkeit geben, für 5 € mit einem Schiff nach Budapest zu fahren, die Stadt dabei vom Wasser aus betrachten zu können und im Zentrum auszusteigen. Nicht wenige meinten, das wäre überflüssig, weil wir übermorgen dort ja sowieso alle entlang paddeln würden, aber ich sah als Pluspunkt an, dass ich vom Schiff aus in Ruhe Fotos würde machen können (was im schwankenden Kajak nicht immer einfach ist), und irgendwie müsste ich ja sowieso in die Stadt fahren. Dann wurde noch ein T-Shirt vergeben an den besten Helfer des Tages unter den Teilnehmern. Das täte die ungarische Organisation an jedem Tag, und hier ging es an jemanden, der gestern in Visegrád den bezahlten Bootsträgern längere Zeit geholfen habe, die Boote das steile Ufer hinaufzupuckeln. Nach der Besprechung wurde Essen ausgeteilt, es gab mal wieder eine (für meinen Geschmack sehr dünne) Gulaschsuppe. Und den üblichen Klönschnack bis in die Nacht hinein.

Paddelstrecke 38 km

Mi, 17.07.2013

Gegen 500 Uhr wurde ich wach, weil in den Bäumen zwischen den Zelten ein Eichhörnchenpaar herumtobte. Das Geräusch, das die Tiere dabei mit ihren Krallen auf der Baumrinde machten, hörte sich fast so an, als ob jemand mit einer Plastiktüte rascheln würde, und war ganz schön laut. Aber irgendwann zogen sie in eine andere Ecke des Platzes, und ich konnte noch zwei Stunden weiterschlafen. Dann galt es, Brötchen zu holen und bei der Gelegenheit gleich mal zu erkunden, wie denn die Bushaltestelle hier hieß, denn ich würde heute zwar mit dem Schiff in die Stadt fahren, aber ja nicht wieder damit zurückkommen. Und den Namen der Station musste ich mir aufschreiben, denn Pünkösdfürdő ist nichts, was man sich so einfach merken kann.

Nach dem Frühstück kam Willy noch einmal bei mir vorbei, denn ich hatte ihm meinen Wassersack versprochen. Er war ja schon in Wien auf der Suche nach so einem Teil gewesen, und ich hatte einen dabei, den ich eigentlich auf dieser Tour gar nicht brauchte und den ich sowieso gerne gegen einen besseren ersetzen wollte. Und die Gruppe, die ich spätestens nach dem Zwischenfall gestern Abend insgeheim "die Dissidenten" getauft hatte, wollte heute während des Ruhetages schon mal ein Stück weiterfahren, irgendwo wild zelten und bei der nächsten Etappe wieder zu uns stoßen. So bekam er also nun einen Wassersack im Tausch gegen ein paar Bier.

Kettenbrücke und Burgpalast Zur Bootsfahrt mussten wir nur ein kurzes Stück am Ufer entlanggehen zum nächsten größeren Anleger und konnten dann dort ein Fahrgastschiff besteigen. An Bord hielt Balázs einen längeren Vortrag auf englisch, der von Martina, einer Mitfahrerin aus Esens, übersetzt wurde, der eifrige Übersetzer von vorgestern ist nicht wieder aufgetaucht. Lange und eindringlich warnte uns Balázs vor dem Verkehr auf der Donau, insbesondere hier in Budapest sei eine Menge Berufsschifffahrt unterwegs, und wir sollten morgen besonders aufpassen, möglichst nur in Gruppen fahren und uns immer nahe am Ufer halten. Nach der Ankunft in der Stadt heute hätten wir dann die Möglichkeit, uns einer Führung anzuschließen. Er stellte uns die beiden jungen Leute vor, die das unternehmen würden, sie wirkten auf mich eher wie Schüler als Studenten. Und natürlich gab er uns auch eine Menge Informationen über die Stadt und insbesondere die Bauwerke, an denen wir jetzt vorbeifuhren. Extrem angetan war ich dabei vom Parlamentsgebäude, welches wir beinahe in voller Pracht zu sehen bekamen, nur ein kleiner Teil davon war gerade mit einem Baugerüst versehen. Auf der anderen Seite fiel mir aber auch ein Baumstamm auf, weiß wie ein alter Knochen, der an einem Geländer hing und sicher noch vom letzten Hochwasser stammte, die Straße dahinter muss dann zu dem Zeitpunkt fast hüfthoch überspült gewesen sein.

Nach dem Ausstieg in der Stadt schloss ich mich zuerst der Stadtführung an, bis unsere Führer selbst jemanden befragten und dann kehrtmachten, weil sie zuvor offenbar in die falsche Richtung gegangen waren. Verlaufen konnte ich mich aber auch alleine, und so setzte ich mich dann ab.

Fahrkarte Budapest Auch in dieser Stadt gab es eine Straßenbahn mit älteren Waggons, und natürlich kaufte ich mir eine Tagesfahrkarte und fuhr eine Weile kreuz und quer. In diesen Wagen konnte man die Fenster öffnen und den Kopf herausstecken, das wäre zuhause seit langen Jahren undenkbar gewesen. Und einmal erwischte ich eine Bahn, in der diverse kleine gehäkelte Objekte aufgehängt waren und man auch angefangen hatte, die Haltestangen mit Häkelwerk zu umkleiden.

Die Stadt empfand ich als eine angenehme Mischung aus alten und modernen Bauten. Vor einem recht neuen Einkaufszentrum wurden Wasserspiele veranstaltet derart, dass auf einem Platz aus einer oder mehreren von 15 Düsen im Boden immer mal wieder ein Schluck Wasser hochgeschossen wurde. Diese Fläche war dabei zwar farblich vom Rest des Platzes abgesetzt, aber ansonsten hinderte nichts die Fußgänger daran, dort einfach mal drüberzulaufen. Und ob es Sensoren gab, welche die Spritze stoppte, wenn dort jemand darüber stand, wollte ich trotz der auch heute wieder herrschenden Hitze nicht ausprobieren. An anderer Stelle in einer Fußgängerzone voller alter Geschäftshäuser lockte mich eine Treppe in die Tiefe, aber das lohnte sich nicht, unten gab es nur eine Reihe von Läden, die Souvenirs und Glaswaren verkauften.

Stephansdom Die Stephans-Basilika gilt als eines der Highlights dieser Stadt, und meiner Meinung nach völlig zu Recht. Die Kirche ist riesig und wirkt durch ihre Säulen aus rotem Marmor verbunden mit vielen goldenen Ornamenten überaus prächtig. Und natürlich ließ ich auch die 500 HUF springen für den Aufstieg auf die Kuppel. Das waren 302 Stufen, von denen man 130 per Fahrstuhl hätte umgehen können. Oben konnte man zuerst einen Blick unter das Dach auf die innere Kuppelkonstruktion werfen und dann auf einer Galerie außen ganz um die Kuppel herumspazieren, wobei sich schöne Ausblicke auf die Stadt boten.

Fischerbastei Ein weiterer Höhepunkt war der Besuch der Fischerbastei. Hierhin fuhr eine Buslinie (Linie 16), die von kleinen Bussen, wie sie zuhause nur für die engen Straßen von Blankenese eingesetzt werden, bedient wurde. Und das schien auch seine Berechtigung zu haben, es ging ein paarmal im Zickzack den Berg hoch. Und oben folgte möglicherweise ein enges Stadtviertel, denn da, wo ich ausstieg, gab es eine Schranke für Autos zum Bezahlen (die der Bus an der Seite passieren konnte). Das Bauwerk selbst bestand aus einem Gebäude und einer Kirche mit schönem bunten Dach, umkränzt von einer hübschen Mauer mit vielen tollen Türmchen. Und auch von hier oben konnte man toll auf die Stadt und die Donau heruntergucken. Die vielen kleinen Türmchen und Mauern mit Bögen etc. lockten auch eine Menge junger Leute an, die irgendwo saßen und auf großen Skizzenblöcken oder sogar an einer Staffelei Bilder malten. In einem der Türme gab es ein Café, wo ich mich hinsetzte, den Ausblick genoss und dann 6 Postkarten schrieb. Dann wurde es auch so langsam Zeit, wieder zurückzufahren. Der Bus in Gegenrichtung kam auch gerade, ich stieg ein, aber sehr zu meiner Überraschung drehte der Fahrer gleich bei der Mautschranke wieder um! Also stieg ich quasi an der gleichen Haltestelle wieder aus. Hier gab es einen Plan, und ich konnte daraus sehen, dass es für die Rückfahrt auf dieser Strecke gar keinen Bus gab, ich war eine Einbahnstraße hochgekommen. Aber den Gang hinunter zum Ufer konnte ich über eine Reihe Treppen abkürzen, ich musste nicht allen Serpentinen der Straße folgen.

Parlamentsgebäude Die Rückfahrt ging leider nicht ganz problemlos von statten, denn ich fand an der S-Bahn-Haltestelle eine Busstation vor, bei welcher der Fahrplan durch einen gelben Zettel ersetzt war, von dem ich den Inhalt nicht einmal ahnen konnte. Und eine Ersatzhaltestelle in der Nähe ("Haltestelle verlegt") konnte ich nicht finden. Also fuhr ich ein Stück wieder zurück, denn es gab noch eine alternative Buslinie, die zu einer Haltestelle Madzsar Jôzsef utca / Pünkösdfürdő utca führte, das musste in der Nähe sein. Von dort aus kannte ich natürlich den Weg zu unserem Platz nicht, aber ich kam ohne große Irrwege hin, irgendwie hatte ich stets das Gefühl, dass in dieser Richtung die Donau liegen müsse, ohne jetzt genau sagen zu können, warum.

Eigentlich hatte ich vorgehabt, mir heute Abend etwas zu kochen, aber jetzt war es so spät und ich merkte, dass ich ein paar Kilometer gelaufen war, dass ich dazu keine Lust mehr hatte. In der abendlichen Runde erzählte dann jemand zum Thema "Schwimmwestenpflicht in österreichischen Schleusen" von einer Schleusung in Serbien vor zwei Jahren: Bei starkem achterlichen Wind und damit verbundenen hohen Wellen haben die Wartenden in einem Seitenarm Schutz gesucht, seien erst unmittelbar vor der Schleusenzeit herausgekommen. Dann fehlten aber noch drei Boote. Der TID-Leiter habe entschieden "wir schleusen trotzdem", der Schleusenwärter habe entschieden "wir schleusen erst, wenn alle da sind". Das habe dann dazu geführt, dass die ganze Truppe anderthalb Stunden lang in der offenen Schleusenkammer in vollem Wellenschlag und ohne die Möglichkeit, sich irgendwo festzuhalten, ausharren mussten.

Paddelstrecke 0 km

Do, 18.07.2013

Aufbruch als einer der ersten Da sie uns gestern früh so eindringlich vor dem Schiffsverkehr in Budapest gewarnt hatten, hatte ich mich mit Niels und Aaron verabredet, früh los und zusammen durch die Stadt zu fahren nach dem Motto "Ein Konvoi fällt eher auf als ein einzelner Paddler". So hatte ich mir dann den Wecker meines Handys (die einzige Gelegenheit, zu der ich das Gerät auf Reisen mal einschalte) auf 430 Uhr gestellt. Da gab es dann auch keine Brötchen zum Frühstück, sondern nur Brot. Und schon seit langem waren die Nächte so warm gewesen, dass ich den Schlafsack nicht benutzen mochte, und diesmal reichte es auch nicht mehr dafür, dass die Butter wieder fest geworden ist. Meine Butterdose hat zwar während der Fahrt einen strategisch sehr günstigen Platz ganz unten im Achterschiff, wo sie durch die Faltboothaut noch immer etwas Kühlung vom Flusswasser abbekommt, bei der Hitze dieser Tage wurde sie aber trotzdem immer sehr weich. Gestern war ich aber ja nun nicht mit dem Boot unterwegs gewesen. Das hatte sie dann vollends zerlegt, und da sie zudem herstellerseitig mit Joghurt "verfeinert" war (das hatte ich beim Kauf leider nicht gesehen), war das jetzt auch nicht mehr reparabel.

Fahrt durch Budapest Als ich zum Ausräumen des Gepäcks die Zelttür weit aufmachte, schwebten sofort 10 bis 15 Mücken ein. Das Tor war abgeschlossen, aber sehr bald kam jemand, um uns aufzuschließen. Und so waren wir zu einer Rekordzeit um 635 Uhr auf dem Wasser. Sehr bald stellte Niels allerdings fest, dass mein Paddeltempo nicht so recht seinen Vorstellungen entsprach. Da ich mir so etwas schon fast gedacht hatte, gab ich den beiden bereitwillig die Erlaubnis, abzuzischen, was sie dann auch taten. Ich fuhr ganz gemütlich alleine weiter, schließlich bin ich starken Schiffsverkehr vom Hamburger Hafen her ja durchaus gewöhnt, Aber es war, zumindest zu dieser frühen Stunde, überhaupt nichts in der Richtung los. Ganz alleine fuhr ich durch die Stadt und genoss noch einmal den direkten Ausblick auf das Parlament und die anderen Sehenswürdigkeiten in Ufernähe. Irgendwann kam Fritz von hinten auf, und wir klönten eine Weile, aber auch er gehörte schon damals, als ich noch in Rotenburg war, eher zu den Kilometerschrubbern und zog bald wieder von dannen. Auch heute war das wieder richtig heiß, längst hatte ich schon wieder meinen Sonnenhut gewässert. Als ich an einem Waldstück vorbeifuhr, lockte mich dessen Schatten und ein in den Stämmen tackernder Specht zur "Mittags"pause.

Trotzdem erreichte ich noch vor 1300 Uhr das heutige Ziel Százhalombatta. Dies schien ein Industrieort zu sein, über den Bäumen konnte man Schornsteine sehen, und es wurde an einigen auch Gas abgefackelt. Bei der Anmeldung fragte jemand, wo es denn hier eine Steckdose gäbe, und Walter erwiderte: "Früher gingen solche Fragen nur um Dusche und Toilette". Und ich hatte, weil ich solche Probleme vermutet hatte, gar kein Ladegerät mitgenommen, was aber dazu führte, dass vorhin an dem lauschigen Pausenplatz meine Kamera das Selbstauslöserfoto verweigerte, weil der Akku jetzt so langsam schwach wurde.

Ich fand noch einen der letzten Plätze auf dem Areal zwischen den Bootshallen am Ufer und einer netten Gaststätte weiter hinten, hier standen ein paar Bäume und spendeten Schatten. Alle, die später kamen, mussten auf der Rückseite in der prallen Sonne aufbauen. Nach Zeltaufbau und Dusche (eine solche gab es) gönnte ich mir erst eine leckere Palacsinta (ein Österreicher würde Palatschinken dazu sagen) und dann ein Nickerchen. Dann ging ich vor dem Abendessen noch eine Runde über den Platz, denn es kamen ja immer wieder neue Teilnehmer dazu, und ich hoffte darauf, vielleicht weitere interessante Boote und Ausrüstungsteile zu sehen zu bekommen. Und tatsächlich lag hinten ein sehr altes Slalom-Faltboot (aus dem Jahr 1958), dessen Besitzer aus München dieses gerade erst erworben hatte und damit auf seiner ersten großen Tour war. Er erzählte, er habe ein Problem, darin längere Zeit zu sitzen, das läge wohl an der Fußstütze. Da stimmte also wieder mal der Grundsatz, man solle stets nur mit erprobtem Material auf große Fahrt gehen, und ich konnte ihm in dieser Sache nun überhaupt nicht helfen.

Versuch, eine Hängematte an einem Faltbootmast aufzuhängen Und beim Schwabendieter kam ich gerade rechtzeitig vorbei, um einem verrückten Experiment beizuwohnen. Er hatte zu seinem neuwertig aussehenden Klepper Aerius Mast und Segel dabei (mit Rollfock, äußerst edel!), und nun war er gerade dabei, diesen Mast samt Boot mit diversen Leinen auf der Wiese nach drei Richtungen abzuspannen. Mir erklärte er dabei, er habe eine Hängematte dabei, aber die Bäume hätten ja nur selten den richtigen Abstand zueinander, um diese dazwischen aufzuspannen. So wollte er also nun einen einzelnen Baum, der hier am Rande der Wiese stand, nutzen und als zweiten Aufhängepunkt seinen Mast nehmen. Vom Prinzip her eine bestechende Idee, aber angesichts seines doch sehr dünnen Faltbootmastes (immerhin die moderne Variante aus Aluminium) hatte ich doch schwere Zweifel. Ja, ich schwankte tatsächlich zwischen "das kann ich nicht mit ansehen" und "das interessiert mich enorm". Letztlich überwog die Neugier. Und so wurde ich Zeuge, wie er schließlich ganz vorsichtig in die Hängematte kletterte (ein High-Tech-Teil aus Kunstfaser mit integriertem Moskitonetz, dort musste man tatsächlich hineinklettern, dafür soll man darin auch nachts draußen schlafen können). Und der Mast bog sich bedenklich, man konnte genau sehen, wo die Abspannleinen angriffen, aber er hielt. Aber ich würde darin keinesfalls eine Nacht verbringen können, Er wollte das so schließlich auch nicht, aber er meinte, das könne man ja wahrscheinlich noch optimieren. Damit ließ ich ihn jetzt aber alleine.

Den Abend verbrachte ich vor dem Zelt beim Klönschnacken mit Niels, während sein Sohn zu zwei süßen Mädels aus der Abiturientengruppe unter deren an einem Ast aufgehängtes Moskitonetz kroch, mit ihnen Karten spielte und vermutlich noch gar nicht richtig ermessen konnte, wie gut er das doch hatte. Aber uns ging das dabei auch nicht gerade schlecht, auch wenn Niels mit mir altem Knacker (immerhin waren wir aus dem gleichen Jahrgang) als Gesellschaft vorlieb nehmen musste. Doch wir hatten immerhin genügend Wein und durften den auch trinken. Dann holte Niels noch eine Flasche Barackpálinka (das ist ein Aprikosenbrand hier aus der Gegend) hervor und erklärte, die wolle er morgen nicht wieder in das Boot zurückpacken. Der Stoff schmeckte nicht schlecht, war mir aber, um damit den ganzen Abend zu bestreiten, doch etwas heftig. Deshalb habe ich mich lieber an (seinen!) Wein gehalten, und am Ende des Abends hatte ihm der Brand auch ganz gehörig zugesetzt.

Paddelstrecke 38 km

Fr, 19.07.2013

Ich bin zwar wieder gegen 500 Uhr wach geworden, habe mich aber noch einmal umgedreht und bis 700 Uhr weitergeschlafen, denn Frühstück (hier in dieser Gaststätte konnte man für 1300 HUF ein solches fertig bekommen) gab es erst ab 830 Uhr. Der Mast von Dieter hat die Nacht ohne Bruch überstanden, ich vermute allerdings, auch ohne Belastung durch einen Hängemattenschläfer. Ein anderer Schläfer, Wolfgang aus Bayern, lag in seinem Schlafsack unten auf dem Ponton, als die ersten schon loswollten. Heute waren Niels und Aaron übrigens nicht unter den Frühaufstehern, komisch eigentlich (aber als sie dann irgendwann aufstanden, war Niels nicht mehr viel vom gestrigen Abend anzumerken). Willy erzählte mir aber später, noch gestern habe Niels ihm eine Flasche Schnaps eingebracht, sie hätten nämlich in ihrem Lager gewettet, wer am Vormittag als erstes dort vorbeikäme. Beim Frühstück unterhielt Dieter aus Heilbronn wieder einmal den ganzen Tisch. Für die zurückgezogeneren Gemüter kursierte die Ausgabe 28/2013 der Zeitschrift Der Spiegel, die von einem lesewilligen an den nächsten weitergegeben wurde.

Um 915 Uhr machte ich die ersten Paddelschläge unter einem mit einem dünnen Wolkenschleier bedecktem Himmel, was ich nach der Sonnenhitze der letzten Tage ganz angenehm fand. Weniger angenehm waren leichte Zahnschmerzen, die sich seit gestern Nachmittag einstellten, da war vielleicht ein Backenzahn etwas dick geworden. Aber heute war der letzte Paddeltag, morgen früh würde ich so oder so die Rückfahrt antreten, da würde ich nun wohl durch müssen. An einer schönen Pausenstelle lagerten die Dissidenten, und ich gesellte mich auch dazu. Wolfgang, der mit einem modernen Aerius unterwegs war, erzählte, Richtung Balkan/Türkei könne man mit dem Faltboot auch ganz gut die Überlandbusse nutzen, da gäbe es normalerweise kein Problem mit dem Gepäck. Er habe da schon LKW-Reifen gesehen, und in den Beförderungsbedingungen heiße es, "keine Möbel und Ölfässer", was er so interpretierte, dass dergleichen schon mal vorgekommen sein müsse.

Nach der Pause kam die Sonne durch, und es wurde wieder so warm, dass ich zur Abkühlung nicht nur meinen Hut, sondern irgendwann auch mein T-Shirt in den Fluss tauchte. Bei der Anfahrt auf die Stadt Dunaújváros, das ähnlich wie unser Ziel gestern Betonbauten und Industrie oben auf dem Hügel präsentierte, kam ich mir fast vor wie an der Küste: Auf den Pollern der am Ufer liegenden Schuten saßen Möwen. Als Anlegestelle gab es wieder den Ponton eines Wassersportvereines mit einer Rampe, an deren oberem Ende sich allerdings mehrere Treppenstufen anschlossen, so dass ich den Bootswagen nicht benutzen konnte. Aber es fanden sich zwei Leute, die mir beim Tragen halfen. Eine Dusche gab es zwar, aber die mochte niemand benutzen, denn sie war schwarz vor Dreck. So wurde dann ungewaschen das Zelt aufgestellt, das Faltboot hingegen erst in der Sonne getrocknet und dann abgebaut, denn das würde ich auf dieser Tour nun nicht mehr benutzen.

Bei der Fahrtenbesprechung wurde angekündigt, dass hier morgen früh eine Veranstaltung auf der Donau stattfinden würde, ab 900 Uhr dürfe man für etwa eine Viertelstunde den Steg nicht benutzen, und um sicherzustellen, dass das auch nicht geschähe, würde das Tor abgeschlossen werden (zwischen Vereinsgelände und Ufer führte noch eine kleine Straße hindurch, da gab es einen Metallzaun mit eben diesem Tor). Während dann das Essen (ein letztes Mal Gulaschsuppe) ausgeteilt wurde, fragte ich Balázs, was für Möglichkeiten ich hätte, morgen früh von hier zum Bahnhof zu kommen. Er meinte, das ginge nur per Taxi, und gab mir die Telefonnummer dazu. Ich fragte ihn, wie der Verein hier heißt und ob sie dort auch englisch sprächen, und er meinte, das täten sie, und das hier wäre der City Water Sports Club.

Nach dem Essen konnte man noch zu einer Kanupoloveranstaltung gehen, aber ich blieb da, weil erstens der Weg weit sein sollte und ich mir von der Ortschaft (erst ab 1949 zur Stadt ausgebaut, der Name bedeutet "Donauneustadt") keine interessanten Aspekte versprach.

Paddelstrecke 42 km
gesamte Paddelstrecke 352 km

Sa, 20.07.2013

Morgenstimmung im TID-Lager Pünktlich um 530 Uhr wurde ich wach, als der rote Sonnenball langsam über den Horizont kroch und durch das Fenster meiner Zelttür schien. Nach dem Frühstück legte ich alles, was ich an Vorräten noch übrig hatte, auf eine Bank neben dem Wasserhahn für die Allgemeinheit, baute das Zelt ab und packte meine Sachen zusammen. Dann setzte ich mich unten auf den Steg zu Božo und Willy zum Klönschnacken. Zwischendurch half ich auch immer mal wieder dabei, bepackte Boote die Treppenstufen hinunterzuschaffen. Das war eine gute Gelegenheit, mich von den Leuten, die ich während der letzten 14 Tage kennengelernt hatte, zu verabschieden, und ein Helfer-T-Shirt konnte man mir dafür ja nun nicht mehr verleihen. Oft hatten sich aber auch kleine Grüppchen gebildet von Leuten, die zusammen fuhren und nicht unbedingt auf weitere Hilfe angewiesen waren.

Gegen 800 Uhr fand ich es an der Zeit, anzurufen und ein Taxi für 900 Uhr zu bestellen, da war genügend Reserve für etwaige balkanische Unzuverlässigkeit, mein Zug sollte ja erst um 1039 Uhr fahren. Das Englisch der Taxizentrale erwies sich als beinahe nicht existent, meine Angabe "City Water Sports Club" wurde nicht verstanden, aber zum Glück lief Balázs gerade hier herum, da bekam er kurzerhand mein Handy in die Hand gedrückt und musste vermitteln. Das tat er auch und bestellte das Taxi nicht zum offiziellen Eingang zum Verein, sondern hinten zum Anlegesteg.

So legte ich also kurz vor neun Faltboot und Rucksack außen neben das Tor an den Zaun und setzte mich daneben. Fast zeitgleich kamen noch Miriam und Lukas mit ihrem Zweier, die anderen "Dissidenten" waren alle schon unterwegs. So hatten sie nun niemanden mehr zum Anpacken, und ich versprach, ihnen beim Tragen zu helfen, wenn die Veranstaltung vorbei und ich dann noch hier wäre, aber just in diesem Augenblick kam auch schon das Taxi. Dem Taxifahrer hatte man offenbar nur gesagt, wo er mich abholen sollte, und englisch sprach er auch nicht. Da musste ich also noch einmal den Sprachführer hervorholen und das Wort für "Bahnhof" heraussuchen. So verlief die Fahrt schweigend, und zum Bezahlen (1300 HUF) gab es ja die Ziffernanzeige am Taxameter.

Natürlich war ich jetzt viel zu früh hier. Aber es gab einen Kiosk, wo ich ein kühles Getränk und ein Heft mit Sudoku-Rätseln kaufen konnte. Damit setzte ich mich auf eine Bank im Schatten. Nach einer ganzen Weile sprach mich jemand auf Ungarisch an. Ich konnte ja nur auf Ungarisch antworten, dass ich kein Ungarisch spreche, aber er konnte Englisch und sagte, der Zug nach Budapest führe nicht, und brachte mich zu einem Bus. Der Busfahrer machte angesichts meines Gepäcks eine Seitenklappe auf, und die war so hoch, dass ich den Faltbootwagen so wie er war in den Kofferraum schieben konnte, das fand ich sehr angenehm. Auch auf die Busfahrt freute ich mich, bekam ich doch auf diese Weise mehr vom Land zu sehen, als dies vom Zug aus möglich gewesen wäre.

Die Fahrt ging durch flaches Agrarland mit Brachflächen dazwischen. Das Getreide war schon abgeerntet, aber der Mais stand noch, und vom Bus aus konnte ich darüber hinweggucken, wie es sonst allerhöchstens vom Pferderücken aus möglich ist. Sonnenblumenfelder gab es auch ein paar, und dazwischen einmal einen kurzen Blick auf die Donau in einiger Entfernung. Die Dörfer sahen nicht "schlimmer" aus als in einigen entlegenen Gegenden Ostdeutschlands. Und wir waren mit unserem modernen Bus (einem Reisebus der Marke Volvo mit "deutscher" Aufschrift "4 Sterne First Class") flott unterwegs, überholten einen PKW und eine 125er Honda Rebel. In Pusztaszabolcs endete die Busfahrt, hier stand eine supermoderne, klimatisierte Regionalbahn bereit. Meine Faltbootfuhre konnte ich bequem durch die Schiebetüren hineinfahren, musste nur unterwegs ein paarmal rangieren, weil die Bahnsteige mal auf dieser, mal auf jener Seite waren. Unterwegs sah ich dann die Raffinierien von Százhalombatta von der anderen Seite.

Pünktlich erreichten wir Budapest-Kelenföld, und ich hatte richtig Glück, denn mein nächster Zug fuhr vom gleichen Bahnsteig, (denn es hätte hier auch weder Fahrstuhl noch Rolltreppen gegeben). Da mochte ich dann auch trotz anderthalb Stunden Aufenthalt nirgendwo anders hingehen, zog mir nur an einem Automaten eine kühle Cola. Hier auf dem Bahnsteig herrschte reges Kommen und Gehen, und andauernd gab es irgendwelche Lautsprecherdurchsagen. Irgendwann meinte ich, herauszuhören, dass auf Gleis sowieso jetzt der Zug nach Dunaújváros usw. geht und ab Pusztaszabolcs ein Busersatzverkehr eingerichtet ist, aber das möglicherweise auch nur anhand der Ortsnamen.

Mein nächster Zug nach Győr kam rechtzeitig um 1328 Uhr und war genauso ein moderner Regionalzug, aber diesmal proppenvoll. Der Wagen mit dem Fahrradabteil hielt direkt vor mir, 5 Fahrräder waren schon drin, aber das Faltboot passte noch dazu, ohne dass ich das Paket auseinandernehmen musste. Aber stehen musste ich zunächst. Erst nach einigen Stationen stiegen zwei Fahrradfahrer aus, und ich konnte mir an der Stelle einen Notsitz herunterklappen. Kurze Zeit später kam der Kontrolleur, besah sich mein Ticket, zeigte auf den Faltbootwagen und fragte mich auf englisch nach einer Fahrradkarte. Ich antwortete mit "this is no bicycle", und er - zog weiter. Jetzt im Sitzen war die Fahrt zu ertragen, etwas störte mich lediglich noch das Gedüdel von allerhand elektronischem Spielzeug diverser Fabrikate, das aus allen Ecken durch den Wagen klang, es saßen sehr viele Jugendliche hier verteilt. Irgendwann kamen wir nach Komárom, wo ich die Donau wieder sehen konnte und auf der anderen Seite die Türme der Kirche von Komárno, wo ich vor langer Zeit - so kam es mir vor - gewesen bin.

Das Umsteigen in Győr ging zeitlich problemlos von statten, körperlich aber anstrengend, nämlich über Treppen. Dafür hatte ich hier einen reservierten Sitzplatz. Und weil dieser Zug die Grenze nach Österreich überschritt, waren die Lautsprecherdurchsagen zweisprachig. Plötzlich, der Zug stand gerade an einer Station, wurde ein Zugbegleiter, der gerade im Gang an meinem Platz vorbeiging, furchtbar wütend, eilte zu jemanden im nächsten Waggon und forderte den auf, sofort auszusteigen. Von der folgenden Diskussion auf Ungarisch verstand ich natürlich nichts außer dem Wort für "Polizei", und der Schaffner machte auch noch eindeutige Handschellenzeichen dazu. Inzwischen sind zwei weitere Zugbegleiter dazugekommen. Da fuhr der Zug los. Der wütende Schaffner betätigte den Notruf, aber die Bahn fuhr weiter. An der nächsten Station (Hegyeshalom) wurden dann zwei junge Männer von Anfang 20 nach draußen komplimentiert. Den Grund dafür habe ich aber nicht mitbekommen.

Der Bahnhof von Bruck in Österreich sah zwar moderner und gepflegter aus als die Stationen in Ungarn, war aber genauso tot wie jene. Das Fahrkartenbüro geschlossen, in der Tür ein Schild: "Ihre Fahrkarten erhalten Sie im Shop gegenüber". Und der Shop auf der anderen Seite - geschlossen. Und auch hier ging es nur über Treppen auf den anderen Bahnsteig, aber ich hatte ja fast eine Stunde Zeit dafür, und die brauchte ich bei Weitem nicht.

Das Bahnhofsgebäude von Wien-Hütteldorf gefiel mir, ein nettes Jugendstil-Bauwerk, und es gab einen Fahrstuhl in die Unterführung und eine Rolltreppe hinauf. Von der Eingangstür zur Straße allerdings ging es eine Stufe hinunter, aber das war mir beinahe schon egal. Direkt gegenüber sah ich mit Tischen draußen das "Café Optimahl", da würde ich bestimmt etwas zum Abendessen bekommen. Aber Pustekuchen. Die Bedienung sagte, "heute" gäbe es nichts zu Essen, aber daran mochte ich irgendwie nicht so recht glauben. Da ich nun hier schon einmal saß und mein nächster (und letzter) Zug erst in mehr als einer Stunde fuhr, trank ich doch noch eine Cola. Das war ein schwerer Fehler. Denn auf dem Rückweg fand ich zwar jetzt den barrierefreien (Seiten)eingang, aber auch einen geschlossenen Bäcker in der Eingangshalle vor, wo vor einer Viertelstunde noch viel Betrieb herrschte. Aber jetzt war es gerade 1900 Uhr durch, und da haben wohl alle Geschäfte Feierabend gemacht. Also gab es zum Essen maximal noch einen Schokoriegel aus einem Automaten. Auch die Zuginformation schien verbesserungswürdig, denn auf den gedruckten Aushängen fehlte die Angabe, von welchem Gleis die Züge abgehen, und der große Monitor zeigte nur die Züge der nächsten halben Stunde. Aber ob ich auf dem Bahnsteig oder in der Halle wartete, war fast egal, hier gab es zu meiner Zerstreuung neben den Sudokus immerhin noch einen indischen Zeitungsverkäufer mit Turban, weißem Bart und dunklem Schnurrbart, der in seiner Ecke auf und ab tigerte und alle 20 Sekunden ein komisches "Bebbelebbelebbelebbelhi!" von sich gab.

Schließlich kam irgendwann erst die Anzeige und dann auch der Nachtzug nach Hamburg. Ich machte die Tür auf und warf den kompletten Faltbootwagen den Eingang hoch - direkt vor die Füße des Zugbegleiters, der just in diesem Moment von der Seite kam und hier den Bahnsteig betreten wollte. Ich versuchte sofort, zu beschwichtigen: "Das kann ich auseinandernehmen!", und er erwiderte: "Ich habe ja noch gar nichts gesagt. Verstauen Sie das mal in aller Ruhe, dann sehen wir weiter." Und das Geraffel passte im Abteil unter die Sitze (schließlich hatten Faltboot und Zelt, als ich während des Studiums für ein Semester in Frankreich gelebt hatte, auch schon unter meinem Bett gelegen), und er sprach das Thema auch nicht wieder an.

Ich hatte einen Mitfahrer, der gerade vom Heimaturlaub in Rumänien nach Bremen zurückkehrte. Er war zwar Kaufmann von Beruf, aber mit maschinenbaulichem Hintergrund, und so hatten wir genug Gesprächsstoff. Dabei stellten wir fest, dass wir auch beide über eine ähnliche Art Humor verfügten, und so wurde es noch ein kurzweiliger Abend, bis wir uns irgendwann (nicht zu spät) in unsere Kojen rollten.

So, 21.07.2013

Um 015 Uhr, laut Fahrplan in Regensburg, kamen die anderen beiden Mitfahrer (das Abteil sollte mit vier Personen belegt sein), aber das wurde nur kurz registriert und sofort wieder weitergeschlafen, bis zur inzwischen üblichen Zeit kurz nach 5, verbunden mit dem üblichen Toilettengang (heute sogar ohne Bier an Vorabend). Das Geklapper heute Morgen war deutlich lauter als das von Zeltstangen, die TID-Fahrer wussten gar nicht, wie gut sie das doch hatten. Um die anderen nicht über Gebühr zu stören, blieb ich noch eine Weile auf dem Gang und guckte aus dem Fenster. Was da draußen vorbeizog, sah aus wie das Weserbergland, und irgendwann hieß es auf einem Silo auch "Landhandel Leinetal". Hin und wieder konnte ich den Bach auch sich durch die Felder schlängeln sehen. Hier im Norden stand das Korn noch auf dem Feld, zuweilen bedeckt von einer pittoresken Schicht Morgennebel, und der Mais war auch noch nicht so weit wie in Ungarn. Aber die Sonne kletterte über den Horizont in den blauen Himmel und versprach Pflanzenwachstum und einen weiteren schönen Tag.

Bald kam auch das Frühstück. Dieses erschien mir gegenüber früherer Fahrten mit dem Autoreisezug weiteren Sparmaßnahmen unterworfen, es gab genau ein (allerdings frisches) Brötchen mit Butter und Marmelade sowie einen Becher Tee (oder Kaffee). Um 615 Uhr hielten wir in Hannover, und der Rumäne stieg aus, um von hier aus weiter nach Bremen zu fahren. Der männliche Part des in der Nacht zugestiegenen Paares aus Regensburg befragte mich als Einheimischen beim Frühstück nach dem Weg zum Kreuzfahrtterminal in Hamburg, dafür half er mir beim Ausladen meines Gepäcks am Hamburger Hauptbahnhof. Und nun kenne ich dort auch alle Fahrstühle auf dem Weg zu meiner U-Bahn (das ginge ja auch mit den Rolltreppen, aber die sind meistens nur auf Aufwärtsbetrieb eingestellt).

Nur an meiner U-Bahnhaltestelle ist in den letzten 2 Wochen natürlich für den Aufgang zur Straße weder Fahrstuhl noch Rolltreppe gebaut worden, da musste ich noch ein letztes Mal puckeln. Dann war ich um 815 Uhr zuhause, genau richtig für ein zweites Frühstück vor dem Auspacken des Reisegepäcks.

Schon zum Mittag war ich damit fertig, fühlte mich wieder unternehmungslustig und geradezu genötigt, das gute Wetter auszunutzen, was dazu führte, dass ich kurze Zeit später vor viel Publikum in Sichtweite der Krugkoppelbrücke reichlich unelegant von einem Standup-Paddelbrett ins Wasser fiel. Aber das ist eine andere Geschichte...

Nachspiel

Die Zahnschmerzen von Donnerstag und Freitag klangen im Laufe des Sonnabends langsam wieder ab und waren am Sonntagmorgen kaum noch zu spüren. So kam es, dass ich nicht als erstes am Montagmorgen gleich zu meiner Zahnärztin gegangen bin und das Thema danach sogar komplett aus den Augen verlor. Anfang 2014 meldete sich die Stelle wieder etwas, und zwar praktischerweise just in dem Moment, als ich bei der üblichen halbjährlichen Untersuchung saß. Also bat ich sie, sich das einmal anzugucken. Das tat sie auch, fing dann aber unvermittelt an, zu lachen. Dann sagte sie: "Das habe ich ja noch nie gesehen. Sie kriegen die Weisheit!"

Das finde ich gut. Seit rund einem halben Jahrhundert bemühe ich mich nun um Weisheit, hatte darin noch jüngst herbe Rückschläge hinnehmen müssen, aber mit dem entsprechenden Zahn wird das ja jetzt vielleicht noch mal etwas.

Literatur

[1] Krasa, Daniel: CityTrip Wien, Reise Know-How, 2. Auflage 2010, ISBN 978-3831720088

[2] Kaufhold, Otto: DKV Auslandsführer Band 9: Die Donau und Nebenflüsse, Deutscher Kanu-Verband, 1. Auflage 2005, ISBN 978-3937743011

[3] Simig, Pia: Ungarisch Wort für Wort, Kauderwelsch Band 31, Reise Know-How Verlag 2012, ISBN 978-3894160531

[4] Bauer, Thomas: Ostwärts: Zweitausend Kilometer Donau. Mit dem Paddelboot zum Schwarzen Meer, Wiesenburg Verlag 2009, ISBN 978-3940756008

[5] Teigelkamp, W.: Im Faltboot um Europa, Bergland-Verlag, Eberfeld, 4. Aufl. 1927
Bericht über eine Faltbootreise in den 20-ern des letzten Jahrhunderts, die zu Beginn auch die Donau hinabführte.
Las ich gerade, als ich letzte Hand an diesen Text legte. Ein völlig anderer Schreibstil als meiner. Eine Leseprobe gibt es hier

[6] Weißbrodt, Daniel: Regensburg am Schwarzen Meer, 2400 Kilometer auf der Donau, Engelsdorfer Verlag, 2013, ISBN: 978-3-95488-097-3

[7] Der Film, welcher bei dieser Tour entstand: www.tid-derfilm.de


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